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Europäische Steuer? Ja, bitte!

Eine Analyse von Peter Haisenko 03.07.2011

Können Sie sich noch an das Jahr 1988 erinnern? Im Juni 1988 hat die Bundesrepublik Deutschland für einen Kredit gebürgt, um die Pleite der DDR abzuwenden. Es handelte sich um eine Milliarde D-Mark. Vor gut 20 Jahren hat also eine halbe Milliarde Euro ausgereicht, um einen Staat vor der Pleite zu retten, der erheblich größer als Griechenland war. Das sollte nachdenklich stimmen.

Wer spricht heute noch von einstelligen Milliardensummen, wenn es um die Rettung von Banken oder kleinen Staaten geht? Dieser Vergleich macht deutlich, was in der Welt der großen Finanzen in den letzten 20 Jahren passiert ist. De facto hat in dieser Welt bereits eine Inflation stattgefunden, die den Faktor 100 übersteigt. Davon ist beim kleinen Bürger nur wenig angekommen. Das liegt daran, dass das tägliche Leben von der internationalen Finanzwelt schon längst abgekoppelt ist – ganz deutlich wird das in diesem Bezug auf den Geldumlauf.

Noch eine andere Zahl belegt die Inflation in der irrealen Finanzwelt: Das Volumen der internationalen Finanztransfers betrug im Jahr 2010 etwa das 100-fache des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich betrug dieses Volumen für Deutschland im Jahr 1997 „nur“ das 6-fache. Das heißt, dass allein in Deutschland innerhalb von 13 Jahren das Volumen der Finanztransfers um das 15-fache zugenommen hat. Im Bereich des Derivate-Handels hat sich das Volumen mehr als ver-60-facht. Das Volumen des Devisenhandels übersteigt mittlerweile den Handel mit realen Gütern um das 100-fache. All das ist dem Bewusstsein der Öffentlichkeit vorenthalten worden.

Vorsichtige Schätzungen sprechen von einem internationalen Finanztransfervolumen, das im Jahr 2010 ca. 4.000 Billionen p/a überstiegen hat. Das sind fast 15.000 Milliarden täglich. Halt!! Mit diesen Zahlen kann ein normaler Mensch nicht mehr umgehen! 4.000 Billionen sind 4 Millionen Milliarden. Alles klar? Natürlich nicht! Diese Zahlen sind schlichter Wahnsinn und deswegen hier noch einmal in Langschrift: 4.000 Billionen = 4.000.000.000.000.000 – eine 4 mit 15 Nullen!

Noch ein Vergleich: Eine Million in 500 Euro-Scheinen ergibt ein handliches Päckchen von etwas mehr als 10 Zentimetern Höhe. Eine Milliarde ist schon 100 Meter hoch. Eine Billion – also 1.000 Milliarden – wären ein Turm von 100 Kilometern Höhe. 4.000 Billionen würden 400.000 Kilometer ins Weltall ragen. Das ist in etwa die Distanz Erde-Mond. Alles klar? Natürlich nicht, denn bereits eine Million (10 Zentimeter!) ist eine Summe, die für den Durchschnittsbürger nur schwer vorstellbar ist.

Wenn es um Steuerentlastungen für den Bürger geht, dann spricht die Regierung voll Stolz von einstelligen Milliarden. Das ist lächerlich, denn eine Milliarde ist pro Bundesbürger gerade mal etwas mehr als 10 Euro. Pro Jahr. Das wiederum heißt, dass eine „Entlastung“ um drei Milliarden (p/a) nicht einmal 10 Cent pro Tag und Bürger bringt. Opium für´s Volk? Nein, eher Beschiss! Besonders dann, wenn es mit den „Hilfen“ für Banken etc. verglichen wird.

Bundeskanzler Schröder war der erste, der in höchster Bedrängnis davon gesprochen hat, die internationalen Finanztransfers zu besteuern. Mit einem Promille. D.h.: mit 0,1 Prozent. Dieses öffentliche Ventilieren seines ungeheuerlichen Ansatzes hat ihn seine Macht gekostet. Vorgezogene Neuwahlen – Frau Merkel durfte das Steuer im Bundeskanzleramt übernehmen. Betrachten wir genauer, was ein Promille Steuer auf Finanztransfers bedeutet und verstehen dann, warum Frau Merkel diesen Gedanken nicht wieder aufgreift. Oder eben gerade dann nicht mehr.

Ein Promille von 4.000 Billionen sind immer noch 4 Billionen – oder 4.000 Milliarden. Jahr für Jahr. Alles klar? Vielleicht dämmert es jetzt langsam. Natürlich wären diese 4.000 Milliarden auf alle beteiligten Staaten aufzuteilen, aber auch danach bliebe noch reichlich übrig für alle. Hilfen für Griechenland? Kein Problem! Geradezu lächerlich! Aktuell geht es um die Überweisung von 12 Milliarden.

An dieser Stelle muss man sich einem weiteren Gedanken widmen. Nachdem ein Promille von 4.000 Billionen immer noch 4.000 Milliarden sind, wird überdeutlich, welche Gewinne mit den internationalen Finanztransfers eingefahren werden. Niemand in der Finanzbranche gibt sich mit einem Jahresgewinn von nur 0,1 Prozent zufrieden. Schon eine Marge von nur einem Prozent bringt die unvorstellbare Summe von 40 Billionen – oder 40.000 Milliarden. Das entspricht in etwa dem BIP der ganzen Welt – also dem Wert der gesamten realen Arbeitsleistung aller Menschen. Alles klar? Noch nicht ganz. Es fehlt noch ein wesentlicher Aspekt.

Was würde mit der realen Welt passieren, wenn 99 Prozent des (virtuellen) Gelds, mit dem die internationalen Finanztransfers abgewickelt werden, einfach annulliert würden? Die Antwort ist einfach, erschließt sich aber nicht sofort: NICHTS! Mit dem restlichen einen Prozent ließe sich der internationale Warenaustausch nach wie vor reibungslos abwickeln. Mehr wird auch jetzt nicht dafür verwendet. Was hindert also unsere wunderbar demokratischen Regierungen daran, den uferlosen Machenschaften der Finanzwelt einen klitzekleinen Dämpfer aufzusetzen – mit einer Steuer von 0,1 Prozent?

Jetzt höre ich die (selbst-)berufenen „Experten“ schon schreien: Wenn eine solche Steuer käme, dann würden die internationalen Finanztransfers drastisch abnehmen. Dazu kann ich nur sagen: Ja und? Oder noch besser: Endlich! Zeit wird’s! Das nächste Argument gegen eine solche Maßnahme lautet: Wenn ein Staat oder Wirtschaftsraum so etwas machte, dann würde sich das internationale Kapital sofort von diesem Markt fernhalten. Wieder: Ja, und?

Geld, das nur für sich selbst lebt, braucht kein Staat - und auch keinen Staat. 

Zum anderen ist diese Behauptung eine vorsätzliche Lüge. Es gibt nämlich schon Staaten die genau das tun, nur viel drastischer. Und das Kapital hat sich keineswegs aus diesen Staaten zurückgezogen. England zum Beispiel. Dort wird seit 1986 die sogenannte „stamp duty“, also Stempelsteuer erhoben. Betroffen sind englische Firmen und die Steuer wird fällig beim Kauf von Aktien, börsenfähigen Wertpapieren und bestimmten Geschäftsanteilen.

Der Standardsteuersatz variiert zwischen 0,5 und 1,5 Prozent des Kaufpreises. Das ist immerhin das 5 bis 15-fache von 0,1 Prozent, oder nochmal das 10-fache von 0,01 Prozent, die auch schon als Modell angedacht und als „vollkommen untragbar“ abgetan worden sind. Immerhin beschert diese Steuer dem englischen Staat jährliche Einnahmen von mehr als 4 Milliarden Euro. Es geht also sehr wohl und niemand hat etwas davon gehört, dass sich deswegen Kapital aus London zurückgezogen hätte.

Ich stelle fest: Lächerliche Instrumente wie eine „Bankenabgabe“, die stabilisierend wirken soll und gerade mal 1,2 Milliarden pro Jahr bringen könnte, sind nur ein Placebo für das Volk. Diese Summen und eventuelle „Freiwilligkeiten“ können im Vergleich mit dem gesamten Transfervolumen nicht einmal als homöopathisch bezeichnet werden. (Verdünnung von eins zu 4 Millionen.)

Der EU-Kommissionspräsident Barroso hat eine europäische Steuer gefordert. Dem schließe ich mich an, allerdings mit der Forderung, diese Steuer als Finanztransaktionssteuer zu etablieren.

Eine europaweite Finanztransaktionssteuer von nur 0,1 Prozent würde sofort etwa 1.000 Milliarden Euro jährlich in die Kassen der EU spülen. Vielleicht sogar viel mehr. Anschließend könnten sich die Bürger Europas locker zurücklehnen und mit einem Lächeln die Schulden der maroden Staaten einfach ablösen – und die der anderen auch. Es würde keinen Steuerzahler auch nur einen Cent kosten.

Wenn also unsere Regierungen den hässlichen Geruch loswerden wollen, nur Vasallen der Plutokraten zu sein, dann sollten sie schnellstens drangehen, einen Teil, nur einen winzigen Teil der Gewinne der (irrealen) Finanzwelt als gerechten Anteil einzufordern. Das würde nicht nur Staaten retten, sondern auch den Besitzstand derjenigen, die im Fall eines Zusammenbruchs des Systems alles verlieren würden. Allerdings weiß ich selbst nicht so genau, ob mir da nicht doch der Zusammenbruch des Systems lieber wäre.

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