USA sind Knast-Weltmeister
Kommentar von Peter Haisenko 31.03.2012
Der Journalist des „New Yorker´s“ Adam Gopnik behauptet, dass Masseninhaftierungen in den USA alles bisher dagewesene in den Schatten stellen. Alles in Allem befinden sich mehr als 6 Millionen Menschen in US-Gefängnissen. Das sind mehr, als Stalin zu seinen besten Zeiten weggesperrt hatte, sagt er. Können diese Zahlen korrekt sein?
Wie üblich gibt es Diskrepanzen, wenn es um Zahlen geht, die peinlich oder entlarvend sein können. Die offiziellen Zahlen der US-Statistik sind aber deutlich genug, und sie beziehen sich nur auf Gefangene in „federal prisons“. Das heißt, wer in einem Gefängnis einsitzt, das nicht unter der Aufsicht des Weißen Hauses steht, ist hier nicht erfasst; und davon gibt es reichlich – sogenannte „State Prison“ und auch die einfachen Zellen der Dorfsheriffs.
Von 100.000 US-Bürgern stehen 760 unter „correctional supervision“ in einem federal prison. Allein diese „politisch korrekte“ Bezeichnung für Inhaftierung oder „Umerziehung“ zeigt, dass die offiziellen Meinungsmacher in den USA sehr wohl um den Sprengstoff dieser Zahlen wissen. Sie sind nicht nur einfach größer als in allen anderen entwickelten Ländern, sie sind sieben bis 10 mal größer.
In Japan sind 63 von 100.000 im Gefängnis, in Deutschland 90, Frankreich 96, Süd-Korea 97 und Gross Britannien belegt mit 153 einen Spitzenplatz. Diese Zahlen beinhalten alle Gefangenen. Die Quoten des als undemokratisch und repressiv gescholtenen Russland und sogar Weissrussland ordnen sich hier so unauffällig ein, dass sie nicht einmal erwähnenswert sind. Selbst Nord-Korea, China (hier gibt es nur Schätzungen), ganz Afrika und die arabischen Länder halten einen weiten Abstand zu den US-Zahlen.
Das war nicht immer so. Noch 1980 betrug die US-Rate 150/100.000, was aber auch schon einen Spitzenplatz einbrachte und zum Beispiel die UdSSR übertraf. Was ist mit den USA passiert, in den letzten 30 Jahren?
Nun, ich kenne die USA seit Anfang der 70er Jahre. Die USA der Gegenwart haben nur noch wenig gemein mit dem damaligen Gefühl von Freiheit und „unbegrenzten Möglichkeiten“. Gewiss ist ein Teil des Anstiegs der Gefängnisinsassen dem „Krieg gegen Drogen“ zuzuschreiben. (Wogegen sind die USA eigentlich nicht im Krieg?) Strafen für Drogendelikte sind von 15/100.000 im Jahr 1980 auf 148 für 1996 angestiegen. Eine glatte Verzehnfachung.
Mehr als die Hälfte der Gefängnisinsassen der USA sitzen heute ein wegen Drogendelikten. Allein im Jahr 2009 wurden 1.66 Millionen Amerikaner mit dieser Anklage inhaftiert, mehr als gewalttätige Räuber, Diebe und Betrüger zusammen. 80 Prozent davon wird nur der Besitz von Drogen vorgeworfen.
Dieser fatale Trend hat mehrere Väter. Einmal versuchen sich sowohl die Konservativen als auch die Demokraten gegenseitig zu überbieten im „harten Umgang“ mit Straftätern. Das bringt Wählerstimmen. Aber, wie sollte es in den USA anders sein, auch das Geld spielt eine Rolle.
Viele Staatsgefängnisse sind privatisiert worden und diese Privatkonzerne haben eine mächtige Lobby. Sie verlegen ihre Haftanstalten in abgelegene ländliche Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit. Dort können sie doppelten Nutzen erzeugen. Sie schaffen Arbeitsplätze und profitieren von niedrigen Löhnen. Nebenbei bringen sie so Staatsmittel in unterentwickelte Regionen. Mit Gefängnissen wird viel Geld verdient und die Lobbyisten sorgen dafür, dass sie keine Leerstände haben. Obligatorische Gefängnisaufenthalte auch für kleinere Delikte sind von ihnen als Gesetz durchgedrückt worden. Man könnte sagen, in den USA ist Inhaftierung zu einer eigenständigen Industrie geworden.
Wie fatal sich die Privatisierung von Gefängnissen auf die gesellschaftliche Entwicklung auswirkt, belegen folgende Zahlen: Während der letzten 20 Jahre haben sich die Aufwendungen für Gefängnisse gegenüber den Ausgaben für höhere Bildung versechsfacht. Kalifornien zum Beispiel hat im Jahr 2011 9,6 Milliarden Dollar für Gefängnisse ausgegeben. Für Universitäten und staatliche Colleges nur 5,7. Seit 1980 hat Kalifornien einen einzigen neuen College-Campus geschaffen, aber 21 Gefängnisse. Ein College-Student kostet den Staat 8.667 Dollar pro Jahr, während für einen Gefängnisinsassen 45.006 aufgewendet werden.
Die gesellschaftlichen Auswirkungen sind nicht nur grausam, sie betreffen mittlerweile weite Bereiche der amerikanischen Gesellschaft. Die entlassenen Häftlinge stehen in der Regel unter strengen Bewährungsauflagen. Sie dürfen sich nicht frei bewegen und dürfen nicht arbeitslos sein. Damit können sie gnadenlos ausgebeutet werden. Korrupte „Bewährungshelfer“ beliefern ebenso korrupte Ausbeuter mit Billigst-Arbeitskräften und das System sorgt für steten Nachschub. Hier darf nicht nur die einfache Zahl der Häftlinge gesehen werden, weil die Zeit der Bewährung oftmals die Haftdauer erheblich übertrifft und auch diese korrupter Willkürlichkeit unterliegt.
Die Schätzung, dass so etwa 5 Prozent der amerikanischen Bevölkerung wie Sklaven für den Profit ekelhaftester Ausbeuter missbraucht werden, ist eher zu niedrig angesetzt. Der durchschnittliche Haftentlassene muss während seiner Bewährungszeit unter Bedingungen leben, die in Deutschland wirklich niemand einem Hatz IV-Empfänger zumuten wollte – sowohl, was die Wohnsituation als auch die gesamte soziale Sicherung und Zukunftsperspektive anbelangt.
Ein weiterer Aspekt ist das amerikanische Wahlrecht. Jedem Verurteilten wird automatisch das Wahlrecht entzogen, auch wenn er nur wenige Wochen im Gefängnis verbringen musste. Wer sein Wahlrecht wiederhaben will, muss dafür bezahlen. Die Kosten für Verwaltungsaufwand, Gutachten etc., können schnell 10.000 Dollar übersteigen. Welcher Ex-Häftling wird das aufbringen können oder wollen? Wiederum dürfte die Schätzung nicht übertrieben sein, dass etwa 20 Prozent der US-Bürger deswegen kein Wahlrecht haben.
Wohlgemerkt, ich spreche hier nicht von Kuba, Iran, Ägypten, Libyen, Syrien oder Nord-Korea, sondern von dem Land, das sich gegenüber dem Rest der Welt als Bewahrer von Demokratie und Freiheit aufspielt.
Während sich das alles noch im Rahmen einigermassen nachvollziehbarer Gesetze abspielt, gibt es in den USA noch den Bereich, der mit den Anschlägen vom 11. September begründet worden ist. Der „Patriot Act“ erlaubt es, jeden, In- oder Ausländer, zu inhaftieren, ohne Anklageerhebung oder das ansonsten obligatorische Recht auf auch nur einen Telefonanruf.
Um diesen Patriot Act vollziehen zu können, reicht der Verdacht aus. Der nicht einmal zu begründende Verdacht terroristischer Aktivitäten oder gegen die „Nationale Sicherheit“ gehandelt zu haben. Nur auf Grund des Verdachts hat sich der amerikanische Staat das „Recht“ geschaffen, jeden Missliebigen jenseits allgemeingültiger Menschenrechte auf Zeit und Ewigkeit wegzusperren. Obendrauf noch die bewusst außerhalb des Bereichs der US-Justiz angelegten Foltergefängnisse wie Guantanamo. Menschen, die vorsätzlich zum Foltern in fremde Länder verbracht worden sind, sollen hier auch nicht unerwähnt bleiben.
The Worlds Leading Nation, wie sich die USA selbst bezeichnen, nimmt also tatsächlich in einigen Bereichen Spitzenpositionen ein. Sie sind nicht nur Schuldenweltmeister, nein, den Weltmeistertitel haben sie sich auch bezüglich der Inhaftierungen mit weitem Abstand gesichert.
Für mich bleibt die Frage unbeantwortet, wie ein solches Land noch für irgendjemanden Vorbild sein kann. Wie es möglich ist, dass diese Nation der ganzen Welt sein „Modell“ der Justiz und der Wirtschaft mehr und mehr aufzwingen darf. Wie die USA über Länder urteilen und richten dürfen, die viel weniger ihrer Bürger wegsperren – nicht einmal ein Fünftel, offiziell.
Wenn Adam Gopniks 6 Millionen US-Knastis wirklich richtig sind, und es gibt daran kaum Zweifel, dann sitzen zwei Prozent der Amerikaner im Gefängnis. Es lebe die freie (Gefängnis-)Marktwirtschaft und die Freiheit. May God bless Amerika and the american way of life!