Die Flut, das BIP und der Sinn von Versicherungen
Von Peter Haisenko
So unsinnig es der Vernunft erscheinen mag, nach der Flutkatastrophe werden die Wachstumsprognosen nach oben korrigiert werden müssen. Alles, was kaputt gegangen ist, muss repariert oder ersetzt werden. Die Schäden werden auf Milliarden geschätzt, und genau um diese Milliarden wird das BIP ansteigen. (BIP = Brutto Inlands Produkt, also die Summe aller Leistungen). So, wie schon eine Flut Kanzler Schröder sehr zu pass kam, hilft sie auch dem Wirtschaftswachstum. Also: beten wir um mehr Hochwasserkatastrophen, und es geht uns besser!?
Vielleicht wird aber auch an diesem Beispiel manch einem klar, wie pervertiert das Denken der sogenannten gelehrten Ökonomen ist. Deren Rechnung ist ganz einfach: Katastrophen erzeugen Nachfrage, das belebt den Handel und erzeugt Gewinn. Das Geld dazu wird von Versicherungen gegeben. Oder auch nicht? Doch dazu später mehr. Auf jeden Fall steigt das BIP und alle dürfen jubilieren. Sollten sie aber nicht.
Mehrarbeit, die keiner will, steigert den Profit
Naturkatastrophen sind gleichsam die natürliche Abart von Obsoleszenz: Güter, die eigentlich viel länger halten sollten, müssen vorzeitig ersetzt oder repariert werden. Doch während uns die mensch-gemachte Obsoleszenz hinterhältig-unauffällig Arbeiten aufbürdet, die eigentlich unnötig wären, zeigen Naturkatastrophen diesen Vorgang brutal deutlich. Man wollte sich gemütlich zurücklehnen in dem Zustand, den man sich mit harter Arbeit geschaffen hat. Nach der Flut muss alles nochmal gemacht werden. Keller trocknen, neue Möbel anschaffen, den Garten restaurieren und die Infrastruktur wiederherstellen. Die Frage muss gestellt werden, wo der Unterschied ist zu einer Glühbirne, die vorzeitig gewechselt werden muss, weil deren Haltbarkeit absichtlich auf 1.000 Stunden begrenzt worden ist. Oder die Waschmaschine, der Drucker etc..
Bei der vorsätzlich hergestellten Obsoleszenz ist es unzweifelhaft: Das BIP steigt an, und die Profite der Kaufleute ebenfalls. Sonst würde es nicht gemacht. Bei Naturkatastrophen allerdings wird unübersehbar, dass den Menschen dadurch Arbeit aufgebürdet wird, die eigentlich niemand freiwillig machen will, und dass es den Menschen ganz allgemein besser ginge, wenn sie nicht gemacht werden müsste. Aber es ist gut für das Wirtschaftswachstum und das BIP.
Hier wird eindringlich erkennbar, wie menschenverachtend und ökologisch schädlich die Lehren der kapitalistischen Ökonomie sind. Menschen werden gezwungen zu unnötigen Arbeiten, um den Gewinn der Kaufleute zu steigern. Anstatt im humanistischen Sinn Nachhaltigkeit anzustreben, respektvollen Umgang mit knappen Ressourcen, Wohlstand für so viele wie möglich, werden die Menschen zu immer mehr Arbeit getrieben. Da kommt eine Flut gerade recht.
Natürliche Grenze des Wachstums
Ganz allgemein werden uns von den „Wirtschaftsweisen“ die falschen Zahlen präsentiert, die unseren Wohlstand beschreiben sollen. Der DAX und immer neue Exportrekorde sollen Wohlstand suggerieren. Arbeit um der Arbeit Willen und Produktionssteigerungen sind das Mantra der fehlgeleiteten Ökonomen. Wer wirklich etwas über den Zustand einer Volkswirtschaft wissen will, muss den Altbestand betrachten. Als erstes die Infrastruktur, dann die Gebäude. Danach den Zustand der technischen Hilfsmittel: Maschinen, Haushaltsgeräte und Transportmittel. Wann und in welchem Ausmaß werden hier Reparaturen fällig werden?
Auch ohne Flut und Obsoleszenz unterliegt alles einem steten Wartungsbedarf. Je mehr wir haben, desto mehr muss repariert oder ersetzt werden. Hier liegt die natürliche Grenze des Wachstums. Es ist die Balance zwischen neuen Errungenschaften und der Arbeitsleistung, die nach der Herstellung für deren Wartung benötigt wird.
Naturkatastrophen und Obsoleszenz verschieben das Verhältnis in Richtung Reparatur und lassen so weniger Raum für echten Fortschritt. Gegen Naturkatastrophen kann nur wenig getan werden, gegen Obsoleszenz dagegen viel. Beiden gemein ist, dass sie Menschen zu Arbeit zwingen, die eigentlich keiner will. Aber es ist gut fürs BIP.
Versicherungen interessiert nur eines: Gewinn!
Doch nun zu den Versicherungen. Im Sinn der pervertierten Denkweise der „Wirtschaftsweisen“ ist jeder Schadensfall gut fürs BIP. Das bei den Versicherungen gebunkerte Geld kommt wieder in den Umlauf, erzeugt Nachfrage und Gewinn. Nicht so im Fall der Flutkatastrophen. Die Versicherungen lehnen es ab, Policen gegen Elementarschäden an Kunden zu verkaufen, die von Flut bedroht sein können. Oder sie verlangen derart hohe Prämien, dass sich das kein Mensch leisten kann.
Nun könnte man sagen, dass man selbst Schuld hat, wenn man in einem bedrohten Gebiet lebt. In gewisser Weise ist das berechtigt, jedenfalls wenn es sich um Neubauten auf billigem Grund handelt, der deswegen billig ist, weil er bedroht ist. Aber dennoch sollte die Grundidee einer Versicherung erhalten bleiben: Wer unverschuldet in Not gerät, dem muss von einer möglichst großen Gemeinschaft geholfen werden. Das ist die Grundlage eines jeden Gemeinwesens und damit jeden Staats. Wofür sonst unterwerfen wir uns den Regeln eines Staatswesens?
Das private Versicherungswesen ist gewinnorientiert. Da liegt der Haken. Es geht nicht darum, Menschen zu helfen, sondern ausschließlich darum, Gewinn zu machen. Chronisch Kranke oder eben die Einwohner von Passau, Deggendorf, Grimma etc. können ein Lied davon singen. Es ist überall dasselbe, wenn Gewinn die Maxime ist. Nur der, der eigentlich mit höchster Wahrscheinlichkeit keine Versicherung braucht, ist ein willkommener Kunde. Das aber widerspricht dem Grundgedanken eines sozialen Gemeinwesens.
Im Zweifelsfalle zahlt der Steuerzahler
Bezüglich des Kraftverkehrs gibt der Gesetzgeber klare Regeln vor. Jeder muss versichert sein. Bei Feuerversicherungen ist es ähnlich. Aber da, wo wirklich Not am Mann sein kann, bei Elementarschäden, dürfen sich die privaten Versicherungen aus der Affäre ziehen. Hier muss jeder selbst schauen, wo er bleibt, oder die Last wird auf den Steuerzahler abgewälzt mit staatlichen Hilfen. Wie in allen Bereichen, die eine Sozialkomponente haben, picken sich die privaten Unternehmer nur die Rosinen heraus. Telefongesellschaften zum Beispiel wollen die lukrativen Kunden in den Städten haben, aber keinesfalls eine Leitung zu einem abgelegenen Dorf betreiben.
Mit den Versicherungen ist es ähnlich wie mit den Banken. Die Gewinne werden kassiert, die Verluste muss der Steuerzahler tragen. Ohne dem sozialistischen Lager zugeordnet zu werden, muss die Frage erlaubt sein, inwieweit die private Versicherungswirtschaft überhaupt mit dem Gedanken eines Sozialstaats zu vereinbaren ist. Wettbewerb? Vergessen Sie´s!
Der Versicherungsnehmer muss als erstes die Gehälter der Vorstände und die Provisionen der Agenten bezahlen. Die protzigen Glaspaläste nur am Rand zu erwähnen. Wäre es nicht besser im Sinn des Gemeinwohls, wenn die unabdingbare Leistung von Versicherungen nur mit den Gehältern von Staatssekretären belastet wäre? Das eingesparte Geld könnte dann für die Fälle ausgegeben werden, deren Regulierung von den privaten Versicherungen verweigert wird. Die Kosten für die Allgemeinheit, die durch Prozesse gegen Versicherungen entstehen, sind hier noch gar nicht berücksichtigt.
Angesichts der Flutkatastrophe muss die Frage gestellt werden: Wofür brauchen wir überhaupt private Versicherungen, wenn im Ernstfall doch der Staat/Steuerzahler einspringen muss?
Das Buch zum Thema: "Bankraub globalisiert"