Streik der Lufthansa-Piloten – und was dahinter steckt
Von Peter Haisenko, Kapitän i.R.
Die Lufthansa war bisher ein sehr sozialer Arbeitgeber und das ist Teil der Erfolgsgeschichte. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe selbst 30 Jahre lang für die Kranich-Linie gearbeitet und in dieser Zeit Tausende von Passagieren sicher zu ihrem Ziel geflogen. Zu meiner Zeit herrschte die übereinstimmende Haltung, dass in einem Unternehmen der zivilen Luftfahrt die Piloten eine herausgehobene Stellung einnehmen, und ihnen deshalb auch gewisse Privilegien zustehen. Von dieser sozialen Ausrichtung im Interesse einer größtmöglichen Sicherheit will sich die Lufthansa jetzt offensichtlich verabschieden. Die Piloten wollen das nicht und sind bereit, für den Erhalt ihres besonderen Status’ zu streiken. Und sie haben Recht!
In vielen Ländern gibt es die Vorschrift, dass der Kapitän eines Linienflugs nicht älter als 60 Jahre sein darf. Diese Vorschrift gilt seit der Propellerzeit. Mit den schnellen Düsenjets hat sich die Arbeitssituation für die Crews dramatisch verändert. Einerseits sind die Dienstzeiten kürzer geworden, auf der anderen Seite haben die Belastungen durch Zeitverschiebungen (Jetlag) und verstärkte Höhenstrahlung stark zugenommen. Im Laufe der letzten 25 Jahre sind die Belastungen durch Erhöhung der Frequenz der Verbindungen und durch die extrem langen Nonstop-Flüge nochmals deutlich gestiegen.
Die Verbindung Deutschland – Rio de Janeiro zum Beispiel musste früher geteilt werden mit einer Zwischenlandung in Dakar und Crew-Wechsel. So dauerte ein Umlauf für die Crew nach Südamerika bis zu drei Wochen. Seit den Nonstop-Flügen sind es in der Regel nur noch dreieinhalb Tage, während derer die Zeitverschiebung verarbeitet werden muss. Die täglichen Flüge über den Nordatlantik werden innerhalb 40 bis 48 Stunden absolviert – hin und zurück. Das wird den Crews bis zu fünfmal pro Monat zugemutet, und die innere Uhr des Menschen stellt sich dabei auf die mittlere Zeit in Grönland ein.
Extreme körperliche und geistige Beanspruchung
Zusätzlich bringen die Flüge in Gegenrichtung, also nach Fernost, das Zeitgefühl restlos durcheinander. Nonstop-Tokio mit neun Stunden Zeitunterschied muss auch innerhalb von zweieinhalb Tagen bewältigt werden. Als noch nicht jeder Flughafen täglich angeflogen wurde, hatten die Crews meist drei oder vier Tage Zeit zur Erholung vor Ort. Das gibt es nicht mehr.
Aus eigener Beobachtung an mir selbst und vielen Kollegen kann ich eines mit Sicherheit feststellen: Wenn ein Kapitän in den Ruhestand geht, dann sieht er nach ein bis zwei Jahren um Jahre jünger aus und fühlt sich auch so. Der Schlaf wird wieder regelmäßig, die Verdauung ebenfalls, die Falten im Gesicht schwinden, und die sportliche Leistungsfähigkeit verbessert sich. Solange ich selbst als Kapitän im Cockpit saß, habe ich mir immer eingeredet, die Belastung durch die Zeitverschiebungen und den Schichtdienst wären geringfügig. Erst nach Beendigung meiner aktiven Zeit musste ich erkennen, in welchem Ausmaß mich mein Beruf körperlich und geistig in Anspruch genommen hat.
Aufgrund dieser hohen Belastungen gibt es für Piloten/Kapitäne die Altersgrenze von 60 Jahren. Weil aber die individuelle Belastbarkeit unterschiedlich ist, hatte die Lufthansa von Anfang an die soziale Regelung eingeführt, dass ein Kapitän die Wahl hat, zwischen 55 und 60 Jahren den Dienst zu beenden. Immer vorausgesetzt, dass die medizinische Untersuchung einen aktiven Dienst überhaupt noch zulässt. Das hat sich bewährt seit 1955.
Wer aus dem Flugdienst ausscheidet, ist in jedem Fall noch nicht in einem Alter, in dem ihm die normale Rente zusteht. Deswegen zahlt die Lufthansa eine Übergangsversorgung für die Zeit zwischen Ausscheiden und Renteneintritt. Genau diese Leistung für ihre verdienten Piloten hat die Lufthansa jetzt aufgekündigt. Die Höhe des Übergangsgeldes hängt natürlich unter anderem davon ab, in welchem Alter der Pilot ausscheidet – später, desto höher. Wer will und kann, darf bis 60 fliegen. Wer früher ausscheiden muss oder will, nimmt Abschläge in Kauf.
Rentnerband im Cockpit ist keine Option
Ich erinnere mich noch gut an einen Flug als Passagier mit der Pan Am. Der Besuch im Cockpit hat mich schockiert. Das Durchschnittsalter im Cockpit - Kapitän, Copilot und Flugingenieur – betrug ungefähr 66, gefühlte 75. Der Grund hierfür war die mangelhafte Alterssicherung, wie sie in USA üblich ist. Der Copilot zum Beispiel ist schon als Kapitän unterwegs gewesen, konnte es sich aber aus Geldmangel nicht leisten, mit 60 Jahren in Rente zu gehen und hat deshalb seinen Dienst als Copilot fortgesetzt. Die Verantwortlichen bei der Lufthansa sollten sich daran erinnern, dass es die Pan Am nicht mehr gibt.
Die Lufthansa-Bosse haben nun den Vertrag zur Übergangsversorgung einseitig ohne Absprache mit dem Personal gekündigt. Dabei dachten sie noch, sie seien besonders schlau vorgegangen, indem von der neuen Regelung nur die Jüngeren betroffen sein sollten. Doch hier hat man die Solidarität der Piloten untereinander unterschätzt. Der Streik wird von allen getragen, nicht nur von den jüngeren Kollegen. Bei diesem Streik geht nicht um mehr Gehalt (dieser Streit ist inzwischen weitgehend beigelegt), sondern um den Erhalt uralter sozialer Errungenschaften, die sich aufs Beste bewährt haben.
Wenn Sie als Passagier sicher sein wollen, dass „Ihr“ Kapitän nur dann fliegt, wenn er sich selbst dazu uneingeschränkt und ohne finanziellen Zwang in der Lage fühlt, dann sollten Sie diesem Streik positiv gegenüber stehen. Er dient letztlich Ihrer persönlichen Sicherheit und ist wirklich nur zu Ihrem Besten!
Fürsorgepflicht für eine Berufselite
Die Luftfahrt ist die einzige Branche, in der die Produzierenden, nämlich die Piloten, höhere Einkommen beziehen als die Kaufleute – Vorstände ausgenommen. Spätestens seit Heinz Ruhnau Ende der 80er Vorstand der Lufthansa war, haben die Kaufleute versucht, das zu ändern. Bislang ohne großen Erfolg. Aber die Strategie, die das Unternehmen jetzt betreibt, geht eindeutig in diese Richtung.
Eines steht fest: Den Beruf eines Kaufmanns kann ein Kapitän schnell erlernen. Der Kaufmann hingegen wird niemals zu einem guten Kapitän geschult werden können. Das ist jetzt nicht arrogant gemeint. Wer ein guter Kapitän werden will, dem muss der liebe Gott eine passende Summe von Fähigkeiten mitgegeben haben, die ihn zu seinem Beruf befähigt. Dementsprechend wenige überstehen den Eingangstest der Lufthansa. Nur etwa drei Prozent derjenigen, die nach einer Vorauswahl überhaupt zu den konkreten Tests zugelassen werden, dürfen letztendlich die Ausbildung antreten. Es gibt keine andere Berufsgruppe, die tagtäglich die Verantwortung für Leib und Leben von Hunderten von Menschen zu tragen hat. Damit gehören die Piloten der Lufthansa einer Elite an, die Anerkennung verdient – und man sollte sie fürsorglich behandeln.
Zum Streik selbst: Wie kindisch, geradezu trotzig ist es, wenn die Pilotenschaft nahezu einstimmig für einen Streik stimmt, es seitens der Geschäftsführung überhaupt so weit kommen zu lassen? Werden hier schon Einsparungen eingerechnet, die dadurch entstehen, dass im Monat April keine Überstunden bezahlt werden müssen – wegen der Flugausfälle? Zusätzlich zu den drei Tagen, an denen kein Gehalt bezahlt wird – also etwa 10 Prozent weniger? Da muss die Behauptung der Lufthansa noch einmal überprüft werden, der Streik würde rund 100 Millionen € Verluste bedeuten. Der Imageverlust dürfte hier viel schwerer wiegen. Wer wirklich an einer Lösung interessiert ist, nimmt das Votum seiner Angestellten ernst.