Ver.di fordert sechs Prozent und streikt dafür – geht’s noch?
Von Peter Haisenko
Sechs Prozent mehr Lohn? Klingt richtig gut. Neben ver.di steht die IG Metall mit einer Forderung von fünf Prozent. Die tun was für ihre Mitglieder, könnte der Beobachter meinen. Sechs Prozent, wie soll das in die Tariflandschaft passen? Bei chronisch leeren Kassen der öffentlichen Hand? Dass das alles eine Mogelpackung ist, wird seit Jahren hinterlistig verschleiert. Man muss auch die zweite Zeile lesen.
Wer würde nicht sagen, dass die Gewerkschaften überflüssig sind, wenn sie mit einer Forderung von drei (ver.di), respektive 2,5 Prozent (IGM) in die Tarifverhandlungen zögen? In dem Erfahrungswissen, dass letztlich 30 Prozent weniger rauskommen, also zwei oder 1,75 Prozent und das deckt nicht einmal die Inflation ab, die EZB-Chef Draghi anstrebt. Wegen einer derartigen Forderung auch noch die Bevölkerung mit Streiks quälen, geht ja nun gar nicht, würde jeder denkende Mensch sagen. Oder auch: Warum sagt die Arbeitgeberseite nicht einfach ja, kein Problem? Wir ziehen die üblichen 30 Prozent ab und das war´s. Streiken überflüssig. Die verheimlichte Realität ist, dass sowohl ver.di als auch IGM genau das fordern. Sie fordern sechs oder fünf Prozent für zwei Jahre und so muss die Forderung halbiert werden, wenn der Wert für ein Jahr benannt werden soll.
EZB-Chef Draghi will die Inflationsrate auf zwei Prozent plus ein wenig heben. Auch er muss feststellen, dass er das mit seiner Politik des billigen Geldes nicht erreichen kann. Wie hoch die Inflation sein kann, bestimmt schon lange nicht mehr die Geldpolitik, sondern die Gewerkschaften und diese haben sich seit Jahrzehnten dem Primat des Kapitals und der Politik untergeordnet. Sie vertreten nicht mehr die Arbeitnehmer, sondern sorgen dafür, dass die soziale Schere immer weiter auseinanderklafft. Ich zitiere dazu einen Ausschnitt aus dem Werk „Die Humane Marktwirtschaft“:
Turbokapitalismus und Globalisierung
Spätestens zu dieser Zeit ist eine wesentliche Grundlage der ökonomischen Lehre entfallen: Der permanente Mangel. Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation ist nur dann gegeben, wenn grundlegender Mangel herrscht. Nur dann wird eine größere Geldmenge zu größerer Nachfrage führen und Inflation auslösen. In den 1970-er Jahren verhielt es sich in den hoch entwickelten Industriestaaten bereits so, dass die Bedürfnisse elitärer Bevölkerungsteile weitestgehend gesättigt waren. Gab man diesen gesättigten Schichten – also den oberen etwa 30 Prozent – mehr Geld in die Hand, haben sie ihren Konsum dennoch nicht erhöht. Schon damals ist die Bevölkerung geteilt in relativ wenige Reiche, die im Überfluss leben, und eine klare Mehrheit der Ärmeren.
Die Schere der sozialen Ungleichheit hat sich seitdem immer weiter geöffnet, so dass wir heute eine zweigeteilte Gesellschaft haben. Ein sehr kleiner Teil lebt im aberwitzigem Überfluss, der andere, weitaus größere Teil wird gezielt knapp gehalten. Aber genau dieser größere, ärmere Teil ist derjenige, der zusätzliches Einkommen ausgäbe, wenn er es hätte. Weil er aber nicht mehr Geld bekommt, wirkt sich die Geldmenge nicht mehr auf die Inflation aus und gleichzeitig konnten und können sich enorme Geldmengen entwickeln, die für den einfachen Warenaustausch keinerlei Funktion mehr haben. Sie dienen allein dem Zweck, sich selbst zu vermehren und die Machtzentren von der Politik in die Bankhäuser zu verlagern. Der ehemalige Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, hat diesen Zustand ebenso lapidar wie treffend beschrieben: „Die Märkte funktionieren nicht mehr.“
Wie konnte es gelingen, die überflüssigen Geldmengen von den unteren Schichten fernzuhalten und so die eigentlich zwangsläufige Inflation durch Geldmengenerhöhung auszuschalten? Der Vorgang ist so einfach wie undemokratisch. Schon in den 1980-er Jahren, haben die Gewerkschaften ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr wahrgenommen, nämlich die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Sie haben sich dem Primat des Geldes und der diesem Primat gehorchenden Politik unterworfen und ihre Forderungen streng begrenzt. So verhindern sie, dass denjenigen, die inflationsauslösend handeln würden, das nötige Geld vorenthalten wird. In der Welt der überflüssigen freien Geldmengen wird Inflation also nicht mehr verhindert durch die strenge Regulierung der Geldmengen, sondern durch Tarifverträge.
Gewerkschaften als Handlanger
Die stillschweigend einvernehmliche Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit den Geldgewaltigen hat einen vollkommen neuen Mechanismus geschaffen, der die Zweiteilung der Gesellschaften weiter vorantreibt: Hier die knappgehaltenen Arbeiterschichten, dort die anderen Wenigen, die ihre Massen an Geld nicht mehr für Konsum ausgeben können, weil sie schon alles haben und übersättigt sind. Wie bereits gesagt, kann Inflation nur ausgelöst werden, wenn Schichten mit unerfüllten Bedürfnissen mehr Geld in die Hand gegeben wird.
So haben es heute die Gewerkschaften in der Hand, die Höhe der Inflationsrate zu lancieren. Sie sind es, die punktgenau bestimmen, wie viel Geld der einfache Arbeitnehmer zur Verfügung hat und ausgeben kann. Sie bestimmen darüber, inwieweit eine erhöhte Nachfrage inflationär wirken kann. Man darf in dieser Hinsicht durchaus von einer globalen Verschwörung des Kapitals mit den Gewerkschaften sprechen, die das Ziel hat, das bereits gescheiterte Geldsystem am Leben zu erhalten, indem der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation ausgeschaltet wird. Das gilt aber nur für die einfachen Bürger. Tatsächlich ist die Welt auch in der Hinsicht zweigeteilt, dass es „oben“ Inflation gibt, „unten“ jedoch nur in streng kontrolliertem Ausmaß.
Soweit der Ausschnitt aus dem Werk von Haisenko/von Brunn.
Die „Lügenpresse“ der Gewerkschaften und der Politik
Seit etwa fünfzehn Jahren verschleiern die Gewerkschaften, wie geringfügig ihre Forderungen tatsächlich sind, indem sie in Nebensätzen die Laufzeit ihrer Forderungen verstecken. Das gilt nicht nur für Gewerkschaften, auch die Politik bedient sich mehr und mehr dieses Tricks. Da werden Milliardensummen an Einsparungen oder Ausgaben präsentiert und in Nebensätzen wird dann ein Zeitraum dazugestellt, der schon mal Jahrzehnte betragen kann. Wer wirklich wissen will, wie die Auswirkung auf das nächste Jahr sein könnte, muss diese Summen durch die Jahre teilen, die angesetzt sind und diese variieren wiederum beliebig. Man präsentiert dem Wähler also eine völlig unbedeutende Einsparung oder Ausgabe als weltbewegend, die es jedoch kaum wert ist, überhaupt erwähnt zu werden.
Wir können hieran also sehen, wie wir tatsächlich systematisch hinters Licht geführt werden, und zwar von allen Seiten in einer unheiligen Allianz. All das dient einem Zweck: Die Kapitalerträge immer höher zu schrauben, auf Kosten der kleinen Steuerzahler. Das hat mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun und schon gar nicht mit „sozialer“ Marktwirtschaft. Letztes Jahr hatte Deutschland einen Außenhandelsüberschuss von etwa 240 Milliarden €. Hätten wir eine funktionsfähige Marktwirtschaft und einen internationalen Handelsausgleich – in Gold, wie bis 1971 – dann müssten die Löhne, und damit die Produktionskosten, in Deutschland so lange steigen, bis Deutschlands Handelsbilanz ausgeglichen ist, also die Exporte um 240 Milliarden weniger sind, weil sie teurer geworden sind – grob gerechnet. Wieder grob geschätzt, müssten die Löhne der unteren Lohngruppen um 30 Prozent steigen, um das zu erreichen. Mehr Details dazu hier: Deutschland kann und muss den Euro retten
Der Mindestlohn müsste mindestens bei 15 € liegen
Diese Lohnsteigerungen können natürlich nicht auf einen Schlag realisiert werden. Das muss sukzessive erfolgen und es wäre die Aufgabe der Gewerkschaften, das durchzusetzen. Die aber tun das Gegenteil. Mit ihren aktuellen Forderungen streiken sie für weniger Lohn – Inflation eingerechnet. Es würde hier zu weit führen darüber aufzuklären, dass auf diese Weise der deutsche Werktätige um die Früchte seiner Arbeit betrogen wird, und zwar für immer. Mehr dazu siehe hier: Wie sind die deutschen Goldreserven entstanden, und warum haben wir heute so wenig davon?
Eine zeitgemäße und für die dauerhafte Funktionsfähigkeit der Weltwirtschaft unbedingt notwendige Forderung zur Gehaltssteigerung müsste also lauten: Mindestens sechs Prozent mehr, aber für ein Jahr. Hierzu noch ein Wort zum Mindestlohn. Abgesehen davon, dass es absolut beschämend ist, in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt überhaupt über Mindestlöhne reden zu müssen, müsste dieser bei mindestens 15 € liegen. Unter anderem weil nur auf diesem Niveau Altersarmut vermeidbar ist. Über den jetzigen, wiederum beschämend niedrigen Mindestlohn ist gesagt worden, er würde die deutsche Wirtschaft ruinieren. Die Praxis zeigt jedoch, dass sich selbst dieser Niedriglohn rundherum positiv ausgewirkt hat.
Man müsste folglich den Mindestlohn so lange erhöhen, bis sich tatsächlich die ersten negativen Begleiterscheinungen zeigten. Ich sage aber voraus, dass das nicht passieren würde, wahrscheinlich nicht einmal bei einem Mindestlohn von 20 € oder mehr. Hierzu muss man nur in andere Länder blicken, zum Beispiel in die Schweiz. Nebenbei bemerkt, sollte auch darüber nachgedacht werden, dass in einem System ohne Inflation der jährliche Zyklus der Tarifauseinandersetzungen überflüssig wäre. Ein System ohne Inflation? Ist das möglich? Selbstverständlich, denn Inflation ist kein Naturgesetz und wie es gehen kann, wird in der Humanen Marktwirtschaft nach Haisenko/ von Brunn schlüssig beschrieben – und zwar so, dass es jeder verstehen kann. So kann ich den Titel nur wiederholen, allerdings mit einem Wort zusätzlich: ver.di fordert NUR sechs Prozent und streikt dafür – geht’s noch?
Nachtrag
Zum allgemeinen Erstaunen wird nach den ersten Warnstreiks für ver.di ein Tarifabschluss bekanntgegeben: 4,75 Prozent heißt die Schlagzeile und erst im Nebensatz wird relativiert, dass das für zwei Jahre gilt, also nur etwa zwei mal 2,3 Prozent/Jahr. Bemerkenswert ist die Geschwindigkeit. Offensichtlich gibt es momentan so viele „Baustellen“, dass man keine Kapazitäten für das übliche Theater gehabt hat und einfach der Erkenntnis gefolgt ist, dass ein niedrigerer Abschluss – wegen der niedrigen Forderung – sowieso nicht erzielbar oder moralisch vertretbar gewesen wäre.