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Olaf Scholz und die verlogene Rentendebatte

Von Peter Haisenko

Der Finanzminister Scholz will wieder einmal mit Vorschlägen zur Rentendebatte für die SPD punkten. 48 Prozent sollen gesichert werden, bis 2040. Erwartungsgemäß melden sich alle Scheinfachleute mit Einwänden und abstrusen Modellen. Im Grunde genommen ist es aber ganz einfach und man muss kein Versicherungsmathematiker sein, um es zu verstehen. Tatsächlich geben wir bereits heute etwa 25 Prozent des Bruttoeinkommens für die Altersvorsorge ab.

Wer nach 45 Jahren Arbeitsleben die Hälfte seines Durchschnittseinkommens als Rente haben will, muss 25 Prozent seines Arbeitseinkommens zurücklegen. Das reicht dann für weitere 22,5 Jahre, also für ein durchschnittliches Lebensalter von 87,5 Jahren, wenn der Beginn des Arbeitslebens mit 20 Jahren gerechnet wird. Zur Zeit beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung 81 Jahre. Die einfache Rechnung hat also Zukunft und noch etwas Luft nach oben. Allerdings wird diese einfache Rechnung beschädigt durch die Inflation. Das wird aber dadurch kompensiert, wenn eben nicht Geld als solches angespart wird, sondern Anrechte auf ein Rentenumlagesystem erworben werden, die mit der Inflation wachsen. Dann ist es die Grundlage für das deutsche Rentensystem, das aber gegenüber anderen europäischen Modellen im Hintertreffen ist.

Das Schweizer Rentensystem ist gerecht – für alle!

Betrachten wir dazu das Musterland der Demokratie, die Schweiz. Den Schweizer Rentnern geht es erheblich besser als den deutschen. Die Mindestrente nach 45 Beitragsjahren beträgt 1.175,- SFr und ist damit genau die Hälfte der Maximalrente von 2.350,- SFr. Dabei beträgt der Rentenbeitrag rd. elf Prozent und die teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen. Da fragt man sich doch, wie das funktionieren kann. Die Antwort ist wieder einmal einfach: In der Schweiz gibt es keine “Bemessungsgrenze”, und zwar überhaupt keine. Jeder muss seine Sozialabgaben (Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung) prozentual leisten, für sein gesamtes Einkommen, egal, wie hoch es ist.

So muss ein Schweizer, der pro Jahr zehn Millionen Einkommen versteuert, eine Million an die Rentenkasse abgeben. Anders als in Deutschland, ist in der Schweiz nicht die Abgabenseite gedeckelt, sondern die Auszahlungsseite. Selbst wer viele Millionen an die Kassen abgegeben hat, erhält auch nur die Maximalrente von 2.350,- SFr. Da wird erkennbar, warum das Schweizer Rentensystem mit knapp elf Prozent auskommt und noch dazu höhere Renten für die “Kleinen” hergibt. Interessant daran ist, dass auch die reichen Schweizer mit diesem System zufrieden sind. Schließlich haben sie genügend Einkommen, sich ein großzügiges zusätzliches Alterseinkommen auf privater Basis zu sichern. Warum also, muss man sich fragen, wird dieses System nicht eins zu eins für Deutschland übernommen?

Die Crux mit der Bemessungsgrenze

Die Väter des Grundgesetzes wollten in dieser Hinsicht etwas ganz anderes, als ihnen dann von den Alliierten befohlen worden ist. Eine Bemessungsgrenze war nicht vorgesehen und auch schärfere Regeln für das Bank- und Versicherungswesen. Bemessungsgrenze heißt, dass bei Einkommen oberhalb derselben keine Abgaben abgeführt werden müssen, für Sozialbeiträge, ganz allgemein. Diese Bemessungsgrenze stellt sicher, dass Lebensversicherungen gute Geschäfte machen können, denn mit der Bemessungsgrenze ist auch die maximale Rente gedeckelt und die ist auch nicht viel höher, als die in der Schweiz. Was also in der Schweiz der Allgemeinheit zugute kommt, fließt in Deutschland in die Kassen der Versicherungskonzerne und in die fetten Gehälter der Vertreter, Manager und Vorstände. In der ursprünglichen Form war es sogar möglich, oberhalb der Bemessungsgrenze ganz aus der Rentenversicherung auszusteigen, wenn man eine “befreiende Lebensversicherung” abschloß. Das hatte also von Anfang an nichts zu tun mit “sozialer” Marktwirtschaft.

Die Beiträge zur Rentenkasse unter 20 Prozent zu halten, ist so etwas wie eine heilige Kuh für Politiker jeglicher Couleur. Dabei verschweigen sie alle, dass die realen Beiträge schon lange deutlich über 20 Prozent liegen. Die Rentenanstalt erhält nämlich erhebliche Zuwendungen aus der Staatskasse. Wie hoch dieser Anteil ist, wird nicht offensiv publiziert. Es ist der übliche Taschenspielertrick: Linke Tasche – rechte Tasche. Tatsächlich ist es nahezu gleichgültig, ob die Beiträge zum Rentenetat korrekt als Rentenbeiträge deklariert oder unter falscher Flagge als Steuern abkassiert werden. Natürlich werden so Auszahlungen getätigt, die nicht dem Einzahlungsniveau entsprechen, aber von der Politik als notwendig gesehen werden. Auch ich empfinde es als richtig, zum Beispiel Müttern für ihre Leistung die Altersrente aufzubessern. Dennoch ist es unehrlich, um nicht zu sagen Betrug am Bürger, wenn nicht deutlich gesagt wird, dass dieser Steueranteil für Rentenzahlungen dem Rentenbeitrag zugerechnet werden muss.

Die Ungerechtigkeit mit der Beamtenpension

Dann das leidige Thema Beamtenpension. Als Bismarck das Rentensystem konzipiert hat, war der Status eines Beamten noch ein ganz anderer als heute. Ein Beamter des Kaisers bekam ein eher bescheidenes Salär, dafür aber einen hohen Sozialstatus (Beamtenbeleidigung war strafbar) und eine überdurchschnittliche Altersversorgung. Die Loyalität der Beamten wurde bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts unter anderem dadurch befördert, dass ein Beamter seiner Pension und seines Status´ verlustig ging, wenn er sich in irgendeiner Weise strafbar gemacht hatte. Bis in die 1980-er Jahre erhielt deswegen ein Beamter 20 Prozent Rabatt auf die KFZ-Versicherung, weil auch ein massives Vergehen im Straßenverkehr zum Verlust des Status´ führen konnte.

Beginnend zur selben Zeit wurde dann der Status der Beamten grundlegend verändert. Die eher bescheidenen Gehälter wurden dem allgemeinen Niveau angepasst und die Regeln für den Verlust des Status aufgeweicht. Die Versicherungen haben reagiert und den Beamtenbonus teilweise gestrichen. Die Politik aber, die zu großen Teilen aus Beamten besteht, hat die Regelungen für die Altersvorsorge den neuen Rahmenbedingungen nicht angepasst. Beamte erhalten nach wie vor durchschnittlich etwa 70 Prozent ihres Durchschnittseinkommens der letzten zwei Arbeitsjahre. Dieser Umstand unterscheidet sich drastisch vom gemeinen Rentner. Während sich dessen Rente aus dem Durchschnitt seines gesamten Einkommens während seines Arbeitslebens berechnet, bezieht sich die Beamtenpension auf das Höchsteinkommen nur der letzten zwei Jahre. Nicht umsonst gibt es deswegen so viele kaum zu rechtfertigende Beförderungen für Beamte gegen Ende ihres Arbeitslebens. Man bedient sich gegenseitig.

25 Prozent des Einkommens gibt der Steuerzahler für die Altersvorsorge aus

Nachdem die Beamtenbesoldung dem allgemeinen Niveau angepasst worden ist, ist es eigentlich nicht mehr zeitgemäß, die Privilegien bei der Altersversorgung beizubehalten. Natürlich gibt es nach wie vor einschränkende Regeln für Beamte. Der Staat kann sie einsetzen, an welchem Ort er es für sinnvoll hält. Aber auch das ist mittlerweile aufgeweicht, denn viele Beamte klagen gegen eine Versetzung ins Nirgendwo und bekommen meist Recht. (Siehe auch hier: https://www.anderweltonline.com/politik/politik-2018/wer-regiert-eigentlich-deutschland-gewaehlte-politiker-oder-selbstherrliche-juristen/) Aber worum geht es eigentlich bei der Beamtenpension?

Die Ausgaben des Staats für Beamtenpensionen betrugen im Jahr 2017 immerhin 66,67 Milliarden Euro, die aus Steuermitteln finanziert werden. Dem stehen Ausgaben der Rentenversicherung gegenüber von etwa 290 Milliarden €. Das heißt, dass zusätzlich zu den Rentenbeiträgen nochmals 66,67 Mrd. € aus Steuermitteln für Altersversorgung aufgewendet werden. Das sind immerhin etwa 23 Prozent der gesamten Altersversorgung. Rechnet man nun die Rentenbeiträge und die Leistungen für Beamtenpensionen aus Steuermitteln zusammen, ergibt sich die erstaunliche Tatsache, dass von den Steuerzahlern bereits heute etwa 25 Prozent ihres Einkommens für Altersversorgung eingezogen werden. Teils als Rentenbeitrag, teils als Steuer. Damit bin ich sehr nahe an meiner ursprünglichen und einfachen Berechnung, dass etwa 25 Prozent des Arbeitseinkommens für die Altersvorsorge abgeführt werden müssen. Der Haken dabei ist nur, dass diese tatsächlich eingezogenen Beiträge zur allgemeinen Altersversorgung alles andere als gerecht verteilt werden, zumal die Beamtenpensionen nicht gedeckelt sind und sich sogar addieren können, bei Abgeordneten oder Ministerialen.

Eine ehrliche Diskussion ist vom Beamten Scholz nicht zu erwarten

Wir können folglich leicht erkennen, wie sehr die gesamte Diskussion um Renten und Beitragszahlungen verlogen ist. Herr Scholz selbst ist Beamter. Wie könnte man also annehmen, dass er eine ehrliche Diskussion anregt? Dass er zugibt, dass der Anteil am Bruttoeinkommen für die Altersversorgung schon lange bei 25 Prozent liegt? Oder dass er eine Diskussion eröffnet, ob man das Schweizer Modell übernehmen sollte, oder das Österreichische, das immerhin eine Mindestrente von mehr als 1.000 € garantiert, und die wird vierzehnmal pro Jahr ausbezahlt? Wäre es nicht zeitgemäß, die Altersversorgung für Beamte ins ganz normale Rentensystem einzugliedern und natürlich genauso zu regeln (Lebensdurchschnittseinkommen) und zu deckeln, wie es der Normalbürger akzeptieren muss? So würde eine Diskussion entstehen, die die Lösung der Probleme der Altersversorgung wirklich näher bringt.

Ich habe bei diesen Ausführungen bewusst mögliche Änderungen in der “Alterspyramide” vernachlässigt, und zwar aus zwei Gründen. Niemand kann heute schon vorhersagen, wie die Alterspyramide in 20 Jahren aussehen wird. Sollte sie tatsächlich ungünstiger werden, dann ist es den Menschen durchaus zumutbar, die Beiträge zur Altersversorgung zu erhöhen. Schließlich sind es die Rentenbezieher gewesen, die mit ihrer Lebensleistung die Produktivität stark erhöht haben, die die “Renteneinzahler” jetzt genießen. Ihr Wohlleben ist begründet auf den Leistungen der vergangenen Generationen und dafür sollten sie bereit sein, etwas mehr an diejenigen abzugeben, die das geschaffen haben.Ich will noch kurz auf eine Besonderheit des Schweizer Rentensystems eingehen. Mit dem Alter steigt der Beitragssatz auf bis zu 18 Prozent an. Auch das ist beispielhaft, denn es trägt dem Umstand Rechnung, dass junge Menschen mit Einstiegsgehältern weniger belastet werden. Sie sind es, die erst einen Hausstand gründen und Kinder großziehen müssen. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, der Hausstand geregelt und das Einkommen höher ist, eben wenn man etwas älter ist, dann ist die Zeit richtig, mehr für die Altersversorgung zu tun.

Mit unserem System der “Humanen Marktwirtschaft” haben wir im Kapitel Altersversorgung ein Verfahren vorgestellt, das genau diesen Überlegungen Rechnung trägt, es aber grundsätzlich jedem individuell überlässt, wieviel er fürs Alter vorsorgen will, neben dem (geringfügigen) gesicherten Grundeinkommen. Generell stellen wir fest, dass ein nationales System der Altersversorgung nur dauerhaft funktionieren kann, wenn alle, ausnahmslos alle, inklusive Beamten, daran teilnehmen. Eine direkte Pflicht dazu lehnen wir ab, denn das gesicherte Grundeinkommen der “Humanen Marktwirtschaft” verhindert, dass man verhungern müsste. Überzeugen Sie sich selbst, wie einfach und gerecht eine vernünftige Altersvorsorge gestaltet werden kann, indem sie “Die Humane Marktwirtschaft” nach Haisenko/von Brunn lesen. Erhältlich im Buchhandel oder direkt zu bestellen beim Verlag hier.

Dass meine Überlegungen auch von manchem Politiker geteilt werden, zeigt dieser Beitrag: Juso-Chef Kühnert fordert, dass auch Abgeordnete in die Rentenkasse einzahlen 

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