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10 Prozent von 10 Prozent

Von Peter Haisenko 11.10.2010

Der alte Krupp war zweifelsfrei einer der erfolgreichsten Unternehmer aller Zeiten. Ihm wurde die Frage gestellt, ob er so viel Geld habe, dass er seine Arbeiter so gut bezahlen könne. Seine Antwort war verblüffend, aber logisch und wegweisend gültig bis heute: Ich habe so viel Geld, weil ich meine Arbeiter so gut bezahle!

Gerade wird ein Tarifabschluss über 3,6 Prozent in der Metallindustrie gefeiert. Ganz nebenbei kam die Meldung, dass der Lohnanteil für den Preis des Endprodukts nur zehn Prozent ausmacht. Ähnliche Verhältnismäßigkeiten finden sich in weiten Teilen der produzierenden Industrie. Auch bei der Lufthansa liegt der Lohnanteil für den Flugpreis um die zehn Prozent. Dieser Fakt sollte zum Nachdenken und Rechnen anregen.

10 Prozent von 10 Prozent sind ein Prozent des Ganzen. Wenn also die Stahlarbeiter 10 Prozent Lohnerhöhung erhalten hätten, hätte sich der Preis für die Produkte nur um ein Prozent erhöht – anstatt wie jetzt um 0,36 Prozent. Wo wäre das Problem?

Wechselkursschwankungen zwischen den internationalen Währungen können erfahrungsgemäß innerhalb kürzester Zeit die Einkaufspreise im internationalen Handel um 20 bis 30 Prozent verschieben. Erstaunlicherweise verändert das den internationalen Warenverkehr nur minimal, wenn überhaupt. Entweder es gibt einen Bedarf, der befriedigt werden muss, oder nicht. So oder so, der Preis spielt dabei nur eine Nebenrolle. Qualität und das passende Produkt sind die entscheidenden Parameter, solange es nicht um (überflüssige) Massenbilligware geht.

In den deutschen Autowerken sind die Arbeitsstunden pro produziertem PKW auf deutlich unter zwanzig zurückgegangen. Eine Lohnerhöhung um 10 Prozent würde ein Auto also um nicht einmal 50 Euro teurer machen. Noch einmal: Wo wäre das Problem?

Im Dienstleistungssektor ist das Verhältnis anders. Aber auch dort beträgt der Lohnanteil keine 100 Prozent. Dennoch schlagen Lohnerhöhungen hier mehr zu Buche. Jetzt könnte man meinen, dass das allgemeine Lohnniveau wegen des Dienstleitungssektors nicht zu stark angehoben werden darf. Das Gegenteil ist richtig. Wenn im produzierenden Gewerbe höhere Löhne bezahlt werden, können auch für Dienstleistungen höhere Preise bezahlt werden und die Löhne können analog steigen. Deutschlands Abhängigkeit vom Export würde zurückgehen.

Als in den 70er Jahren in den USA wegen der Deregulierung das große Sterben der Airlines beobachtet werden musste, kristallisierte sich eine einfache Regel heraus: Nur diejenigen Airlines haben überlebt, die ihren Kapitänen gute Gehälter bezahlten. Der alte Krupp lässt grüßen!

Mit der Globalisierung ist ein weltweiter Wettbewerb ausgebrochen, sich im Drücken der Löhne zu übertreffen. Die Logik dahinter entstammt der angelsächsischen Lehre der Ökonomie. Wo diese die Welt hingeführt hat, hat uns die Finanzkrise drastisch vorgeführt. Mit der schrittweisen Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft geht es den Menschen in Deutschland keinesfalls besser, aber die Gewinne der Konzerne, die jetzt dem internationalen Kapital gehören, erreichen immer neue Höhen. Die sozialen Unruhen und auch das verstümmelte Gefühl der Gemeinsamkeit in den Betrieben müssen mit teuren Kampagnen korrigiert werden. Englische Begriffe wie „corporate identity“ sollen helfen, den früher einfach vorhandenen Familiensinn in Unternehmen wieder herzustellen.

Ja, meine Herren Manager, die ihr euren gesunden Menschenverstand während des Studiums der Ökonomie nach angelsächsischen Regeln abgelegt habt, soziale Marktwirtschaft funktioniert besser als die gnadenlose Ausbeutung. Sie ist nachhaltig. Das Geizen um Prozente an der falschen Stelle bringt niemanden weiter. Die Aufteilung von Unternehmen in Profitcenter ist der falsche Weg. Die Dinge müssen gesamtheitlich betrachtet werden, damit nicht die Einsparung im einen Profitcenter im anderen doppelt bezahlt werden muss. Aber dazu bedarf es Manager mit Weit- und Überblick. Ein lächerliches Profitcenter kann jeder Egoist ohne Rücksicht auf das Umfeld auf Profit trimmen.

Sehen Sie sich doch an, wo die Volkswirtschaften in den Mutterländern der kapitalistischen Lehren hingekommen sind. Sie sind pleite, abhängig von der Ausbeutung anderer Länder und für sich nicht mehr überlebensfähig. Gerade mit der Finanzkrise hat die deutsche Wirtschaft mit ihrem jämmerlichen Rest an sozialer Marktwirtschaft bewiesen, dass sogar diese Reste sozialer Marktwirtschaft den rein kapitalistischen Systemen überlegen sind.

Wollen wir wirklich weiterhin dem Vorbild untergehender Nationen folgen? Wäre es nicht besser, das Joch der falschen Lehre abzustreifen und der Weisheit des alten Krupp zu folgen? Drastische Lohnerhöhungen können die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht zerstören, aber sie können den Haushalt der BRD sanieren: Höhere Löhne, mehr Steuereinnahmen! Höhere Löhne, zufriedene und loyale Arbeitnehmer!

Wann wird es endlich in die Gehirne der Erbsenzähler eindringen, dass es eben nicht das letzte herausgequetschte Zehntelprozent ist, das eine Gesellschaft nachhaltig voran bringt? Individuelle und egoistische Gier können nur kurzzeitig Vorteile bringen. Letztlich kann es „denen da oben“ auf Dauer nur gut gehen, wenn auch „die da unten“ mit ihrem Leben und Lohn zufrieden sind. Die Wut ist groß, wie die Urabstimmungen mit Ergebnissen von 98 Prozent belegen. Die Menschen haben schon länger verstanden, dass Deutschland nur dann vorankommen wird, wenn endlich wieder gerechte Löhne bezahlt werden. Jetzt müssen die Politiker und „Wirtschaftskapitäne“ den Mut finden, Deutschland gegen die Interessen des angelsächsischen Kapitals mit seinem eigenen Weg an der Spitze halten zu wollen.

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