Boeings 787 – der Albtraumflieger
Von Peter Haisenko
So schnell kann´s gehen. Gerade mal ein Jahr in der Luft und die Amis haben die von Boeing stolz als „Dreamliner“ gepriesene B-787 zum „Nightmareliner“ erklärt. Bis auf wenige kleine Meldungen fand in unseren Medien die Pannenserie des jüngsten „Verkaufsschlagers“ von Boeing kaum Beachtung. Dabei ist die Liste der festgestellten technischen Mängel und Versagen durchaus bemerkenswert, um nicht zu sagen, katastrophal: Bremsdefekte in Serie, undichte Tanks, explodierende Batterien, Stromausfall und Feuer an Bord… Da erscheint es nicht wirklich ratsam, diesen Flugzeugtyp zu wählen, wenn man sicher und pünktlich ankommen will.
Insofern widerspreche ich ausdrücklich dem „Luftfahrtexperten“ des Luftfahrt-Beratungsunternehmens G2 Solutions Michel Merluzeau, der die B 787 „weiterhin als sehr sicheres Flugzeug“ beschreibt. Noch ist es zu früh, ein endgültiges Urteil über die Sicherheit der B 787 zu fällen, denn noch ist keine Maschine dieses Typs ernsthaft verunglückt, und insgesamt hat dieses Flugzeug noch zu wenige Flugstunden absolviert. Eines aber ist sicher: Wirkliche Zuverlässigkeit am Himmel sieht anders aus!
Ganz anders die mediale Wahrnehmung (besonders in den USA), wenn es um den Airbus geht. Da braucht bloß mal einer im A 380 daneben zu pinkeln, und schon wird eine große Diskussion über die Flugsicherheit des Europa-Fliegers vom Zaun gebrochen.
Als der A 380 erst mit einjähriger Verspätung in den Liniendienst gestellt wurde, gab es darum ein riesengroßes Bohei. Als Boeings „Dreamliner“ mit mehr als drei Jahren Verspätung an den Start ging, war das bestenfalls eine Randnotiz wert. Aber ich will heute nicht weiter auf die zu Gunsten Boeings gesteuerten Medien eingehen, vielmehr werde ich aufzeigen, dass der amerikanische Pannenflieger exemplarisch steht für eine systemimmanente Problematik, die allenthalben erkennbar wird, und der unter anderem auch der Berliner Flughafen zum Opfer gefallen ist.
Boeing hat ein Flugzeug entworfen, für dessen Herstellung dem Unternehmen die Kernkompetenzen im eigenen Werk fehlen. Die Kohlefaserverbundwerkstoffe, die in der B 787 in bisher unbekanntem Ausmaß Verwendung finden, kann Boeing nämlich nicht aus eigener Produktion beziehen, ja nicht einmal aus dem eigenen Land. Sie werden in Asien hergestellt, und auch dort handelt es sich nicht um eigene Entwicklungskompetenz. Die Asiaten haben von den Markt- und Entwicklungsführern in Deutschland abgekupfert. Wen kann es da noch wundern, wenn nach (für ein Verkehrsflugzeug) wenigen Flugstunden bereits an den Übergängen zu konventionellen Materialien die Kohlefasern büschelweise heraushängen.
Im Gegensatz zu Airbus lässt Boeing seine Flugzeuge nicht von Fachleuten zusammennieten, sondern teilt die Arbeitsschritte bei der Fertigung in so kleine Einheiten ein, dass Ungelernte diese nach wenigen Stunden Einweisung durchführen können sollen. Wohin das führt, hatte der Absturz einer B 737 auf einem Reiseflug über Indonesien Mitte der 1990-er Jahre gezeigt. Die Untersuchungen haben ergeben, dass man bei der Montage des Höhenleitwerks eine ganze Reihe Nieten einfach vergessen hatte, und das Leitwerk deswegen in zehn Kilometer Höhe einfach auseinandergefallen ist.
Ein weiteres Problem sind die amerikanischen (und englischen) Maßeinheiten, die mit Inch und Fuß vom weltweit verwendeten metrischen System abweichen. Dieses Problem durfte auch Airbus kennenlernen, und zwar bei der ersten Version des A 340/200. Die Fachwelt wunderte sich darüber, warum die Nase dieses Flugzeugs auf einem so kurzen Bugfahrwerk stand, was zumindest komisch aussah, da das Flugzeug am Boden nicht in der Waagerechten stehen konnte. Die Erklärung hierfür ist einfach: Das in England gefertigte Bugfahrwerk war zu kurz geraten, weil dem englischen Hersteller Umrechnungsfehler von Zoll in Zentimeter unterlaufen waren. Mit Problemen dieser Art hat Boeing immer zu kämpfen, wenn es Zulieferteile aus dem Ausland erhält. Selbst kleinste Rundungsfehler können sich extrem negativ auswirken bei einem Objekt, dessen Fertigung Genauigkeit auf Bruchteile von Millimetern verlangt.
Unter dem Strich ist es die unsägliche Gewinnmaximierungsstrategie, mit Outsourcing und Profitcentern, die Großprojekte der Gegenwart zum Scheitern bringt und in Verbindung mit Dilettantismus und Pfusch am Ende das genaue Gegenteil bewirkt. Eine schwer durchschaubare Kette von Sub-sub-subunternehmen macht es unmöglich, eindeutige Zuordnungen für Inkompetenz und Versagen an einzelnen Führungspersonen festzumachen. Niemand kann mehr für Schlamperei und Fehlentscheidungen verantwortlich gemacht werden – schlimmer noch, die offensichtlichen Versager gehen, nachdem man sie endlich geschasst hat, mit Millionenabfindungen vergnügt nach Hause. Siehe wiederum auch Berliner Flughafen. Es ist jenes angelsächsische Profitdenken, dem sich die westliche Welt mehr und mehr untergeordnet hat, und das Boeing schon seit Jahrzehnten daran hindert, wirklich gute und zuverlässige neue Flugzeugmodelle auf den Markt zu bringen.
Ein bekannter amerikanischer Astronaut hat auf die Frage nach seiner Befindlichkeit vor seinem Start ins Weltall Anfang der 1970-er Jahre mit der Gegenfrage pariert: „Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie mit einem Gefährt ins All geschossen werden sollen, in das man nur das Billigste eingebaut hat, das man kriegen konnte?“ Er bezog sich hierbei auf die damals neue Strategie der NASA, alle Bauteile für Raumfahrzeuge national auszuschreiben und nur das jeweils günstigste Angebot anzunehmen. Heute erscheint diese Vorgehensweise der Normalfall zu sein, was dann eben zu folgenschweren Konsequenzen führt, wie sie bei Großprojekten wie dem Berliner Flughafen, aber auch bei der Entwicklung eines neuen Fluggerätes wie der B 787 zu beklagen sind.
Die turbokapitalistische Welt hat sich von Nachhaltigkeit und Qualität verabschiedet. Vorbei die Zeiten, als noch die Maxime galt, alles so gut wie möglich zu machen. Der Profit ist zum Maß aller Dinge geworden. Verantwortung wird ausgelagert und mit so vielen Zwischenstationen verschleiert, dass die komplizierte und letztlich unproduktive Überwachung der gesamten Ablaufkette mehr Arbeitskraft verschlingt, als das System an Einsparung bringen könnte. Kein Wunder also, wenn die Kosten für Großprojekte routinemäßig explodieren, und niemand mehr für die gigantischen Verluste gerade steht: kein Subunternehmer ganz unten, und schon gar kein Häuptling ganz oben. Das System der überbordenden Komplexität in Produktion, globalisierter Wirtschaft und unkontrollierbarem Finanzwesen gerät an seine Grenzen und ist dabei, sich selbst aufzufressen.
Doch zurück zur zivilen Luftfahrt. Als in den 1980-ern die ersten zweimotorigen Passagierjets Ozeane überqueren sollten, gab es noch die strenge und zeitaufwendige Vorschrift, den Nachweis der Zuverlässigkeit für alle Bauteile in Praxi zu erbringen. Solche strengen Zulassungsvorschriften gibt es nicht mehr. Heute erhält der zweimotorige „Dreamliner“ ohne diesen Nachweis ab Initio die Lizenz, selbst die größten Meere überfliegen zu dürfen. Wie prekär sich das auswirken könnte, hat der spektakuläre Triebwerksausfall einer A 380 in Singapur gezeigt. Allerdings verfügt diese Maschine über vier Triebwerke, wodurch eine Katastrophe verhindert werden konnte.
Nichts fürchten Piloten mehr als Feuer an Bord. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich war selbst viele Jahre Pilot bei der Lufthansa. Ich erinnere hier an die Swissair MD 11, die vor der nordamerikanischen Küste aus diesem Grund abgestürzt ist und Hunderte in den Tod gerissen hat. Boeing hätte der Unglücksursache – Feuer an Bord – höchste Aufmerksamkeit widmen müssen. Schließlich ist die B 787 weitgehend aus Kohlefaserverbundwerkstoffen gefertigt, und es gibt noch keine tragfähigen Erfahrungswerte, wie sich dieser Baustoff bei Feuer an Bord tatsächlich verhält. Eins ist jedenfalls sicher: Kohlefaser brennt erheblich besser als Aluminium – und das ist eher eine Untertreibung.
Lassen Sie sich jetzt durch meine Ausführungen die Freude am Fliegen nicht vergällen. Noch immer ist Fliegen die sicherste Art der Fortbewegung, und die größten Gefahren lauern auf dem Weg vom und zum Flughafen. Allerdings wird es schon einen Grund haben, warum sich die umsichtigen Experten der Lufthansa bis jetzt gegen eine Bestellung der B 787 entschieden haben. Sie als Passagier können ihre Entscheidung treffen, in welchen Flieger Sie einsteigen wollen und um welchen Sie lieber einen Bogen machen.