Bericht zum Absturz der Air Asia deckt Mängel bei der Pilotenausbildung auf
Von Peter Haisenko
Am 28. Dezember 2014 ist ein A 320 der Air Asia Flug QZ 8501 nahe der Insel Palau Beitung ins Meer gestürzt. Knapp ein Jahr später liegt der Abschlussbericht des NTSB vor und er muss Fachleute in höchste Alarmbereitschaft versetzen. Die Piloten waren nicht in der Lage, ihr Flugzeug ohne Autopilot sicher zu steuern. Ein Problem, das in Fliegerkreisen schon länger bekannt ist.
Als ich 1974 meine Ausbildung zum Linienpilot absolvierte, war der Gebrauch des Autopiloten weitgehend verpönt – außer im Reiseflug. Zu ungenau, zu unruhig war die Arbeit dieses Geräts. Seine Fähigkeiten beschränkten sich auf Geradeausfliegen, Höhehalten und dem Folgen des Leitstrahls bei einem Anflug nach Instrumenten bei schlechtem Wetter. Letzteres machte er aber auch so unbefriedigend, dass die meisten Anflüge „von Hand“ geflogen wurden. Entsprechend waren alle Piloten geübt darin, ihr Flugzeug ohne elektronische Hilfen sicher zu steuern. Das hat sich geändert.
Jungen Piloten fehlen die Grundlagen der Navigation
Der zweite Punkt betrifft die Navigation. Wir waren „Nadelflieger“, d. h. wir navigierten mit Kompass, Funkfeuern und Stoppuhr. Die Instrumente dazu waren mechanische Kompasse mit Nadeln darin, die es ermöglichten, die Richtung zum Funkfeuer zu bestimmen, später auch die Distanz. Navigation erforderte ein komplexes Verständnis von Raum und Zeit in einem dynamischen Umfeld. Dann kamen die „Glascockpits“, gesteuert von einem INS, dem Inertial-Navigations-System. Hier übernahm ein kreiselgestützter Rechner die Positionsbestimmung. Dieser war aber bis in die 1980er Jahre ziemlich ungenau. Abweichungen von mehr als zehn Meilen (1 Nautische Meile = 1,852 Km) waren nach einer Flugzeit von acht Stunden normal. Erst die modernen Laser-Kreisel, kombiniert mit GPS, haben eine durchgängige Genauigkeiten bis auf 60 Meter gewährleistet. Eine zwar bequeme und sicherheitsfördernde Entwicklung, aber in gewisser Weise fatal.
Die jüngeren Piloten, die ihre Ausbildung nur noch auf modernen Flugzeugen erhalten haben, also im Glascockpit mit einem „Fernseher“ vor der Nase, der auf einer „Landkarte“ die Position anzeigt, haben die Grundregeln der Navigation kaum noch gelernt, geschweige denn im täglichen Geschäft angewendet. In jedem Fall sind sie nicht mehr darin geübt, die Positionsanzeige des Flugzeugs mit einfachen Methoden zu überprüfen. Sollte der extrem seltene Fall eintreten, dass das Navigationssystem ausfällt oder fehlerhaft arbeitet, sind die meisten von ihnen überfordert. Wie gesagt, so etwas passiert extrem selten, eigentlich gar nicht und deswegen fällt dieses Manko nicht ins Gewicht, solange alles normal läuft in einem ungestörten Umfeld.
Ausfall des Autopiloten kann fatale Folgen haben
Zurück zu den Autopiloten. Diese sind heutzutage derart perfektioniert, dass sie – mit Ausnahme des Starts – den gesamten Flug steuern können. Die Piloten geben nur noch die gewünschten Parameter ein und den Rest erledigt der Autopilot. Natürlich muss er überwacht werden, damit er keinen Unfug macht, was durchaus vorkommt. Als der A 320 eingeführt worden ist, richtungsweisend in seiner autonomen Perfektion, gab es ein Bonmot in Fliegerkreisen: Was ist der häufigste Satz, gesprochen in einem Cockpit des A 320? „Was macht er denn jetzt schon wieder?“ Und als Krönung der letzte Satz auf dem Voice-Recorder: „Das hat er ja noch nie gemacht!“ Gut, das war Spaß, aber es zeigt, dass die komplexen Vorgänge der programmierten Flugsteuerungen nur schwer in allen Details durchschaubar sind. Aber sie entlasten die Piloten bei ihren vielfältigen Aufgaben und erhöhen so die Flugsicherheit erheblich, wenn, ja wenn alles normal verläuft.
Nicht nur der Absturz der Air Asia hat gezeigt, dass ein fehlerbehafteter Ausfall des Autopiloten fatale Folgen haben kann, wenn die Crew nicht genügend geübt ist in grundlegenden Fähigkeiten, ein Flugzeug ohne die elektronischen Hilfen zu steuern. In diesem Fall ist die Steuerung des Seitenruders ausgefallen, wegen eines simplen Wackelkontakts, einer defekten Lötstelle auf der Steuerungsplatine des zuständigen Rechners. Das führte programmgemäß zum Ausfall des Autopiloten und zwar so weitreichend, dass das Flugzeug nur noch von Hand gesteuert werden konnte, im sogenannten „alternate law“, was im Prinzip genauso ist, wie jedes kleine Sportflugzeug, also ohne gewohnte elektronische Stabilisierungs- und Schutzmechanismen. Wegen des Fehlers war das Seitenruder zwei Grad (!) nach links ausgelenkt, was zu einer Steilkurve bis zu einer Schräglage von 54 Grad geführt hat. Normal wird eine Kurve mit maximal 25 Grad geflogen, in der vorliegenden Höhe von 11 Kilometern nur noch mit 15 Grad.
Unklare Verhältnisse im Cockpit
Bemerkenswert ist die Reaktion der Piloten. Es dauerte ganze neun Sekunden, ehe sie eingegriffen haben. Für mich als „alten Hasen“ ist es unvorstellbar, so lange untätig zuzusehen, wie das Flugzeug in eine derart prekäre Lage fällt. Die erste Korrektur war dann durchaus richtig, ist aber nicht konsequent durchgeführt worden. Der Copilot steuerte das Flugzeug und deswegen werfen wir einen kurzen Blick auf die Crew-Zusammensetzung. Der Kapitän, 53 Jahre alt und mit mehr als 20.000 Flugstunden sehr erfahren, war zweifellos qualifiziert, jedenfalls was die gesetzlichen Vorschriften anbelangt. Beim Copiloten sieht es anders aus. Er war offensichtlich ein „Quereinsteiger“. Bei seinem Alter von 46 Jahren hatte er eine ungewöhnlich geringe Flugerfahrung: insgesamt 2.247 Stunden, davon 1.367 auf dem A 320. Dieser Mann hat das Fliegen mit einem Verkehrsflugzeug nicht „von der Pike auf“ gelernt und war mit der Situation offensichtlich überfordert, wie das fatale Ergebnis zeigt. Das aber entlastet den Kapitän in keiner Weise. Er hätte dem Copilot sofort die Kontrolle entziehen und das Flugzeug selbst sicher steuern müssen. Warum hat er das nicht getan? Konnte er das vielleicht selbst nicht?
Die Lufthansa hat in den 1990er Jahren Piloten einer chinesischen Airline geschult, in China. Die Erkenntnisse daraus waren erschütternd, sind aber niemals irgendwo publiziert worden. Es stellte sich mehrfach heraus, dass etliche dieser chinesischen Piloten nicht in der Lage waren, ihre B 737 ohne Hilfe des Autopiloten zu fliegen. Das trainingsweise Abschalten desselben führte regelmäßig in Situationen, die nur noch durch das beherzte Eingreifen des (deutschen) Trainers zu retten waren. Ich will hier nicht sagen, dass Ähnliches für alle Piloten gilt, die bei relativ jungen Airlines beschäftigt sind. Dennoch hat sich gezeigt, dass manche Abstürze asiatischer Airlines auf mangelhafte fliegerische Kompetenz zurückzuführen sind. Siehe hier: War der Unfall der Asiana 214 in San Francisco ein Pilotenfehler?
Kostenoptimiertes Training im Flugsimulator
Der Abschlussbericht zu Air Asia QZ 8501 kommt zu dem Schluss, dass es sich um einen Pilotenfehler gehandelt hat, dem ein technischer Defekt vorangegangen ist. Allerdings füge ich hier an, dass auch die Wartungsmodalitäten ein ausschlaggebendes Moment waren. Es ist zwar alles regelgerecht durchgeführt worden, aber der gesunde Menschenverstand ist sicher zu kurz gekommen. Der den Absturz auslösende Fehler ist bereits mehrfach an diesem speziellen Flugzeug, dem verunfallten, aufgetreten und niemals wirklich behoben worden. So, wie Abstürze von Windows-Systemen oftmals durch einfaches Aus- und Einschalten behoben werden können, hat man auch hier gehandelt. Ich will hier nicht näher darauf eingehen, dass auch diese Vorgehensweise den üblichen Sparmaßnahmen geschuldet ist.
Der allgemeine Kostendruck hat dazu geführt, dass auch das Training der Piloten „kostenoptimiert“ durchgeführt wird. Training im realen Flugzeug findet praktisch nicht mehr statt, sondern es wird in – zugegebenermaßen optimalen – Simulatoren durchgeführt. Ich selbst habe im Jahr 2000 meine erste Landung auf dem A 340 auf einem Linienflug – mit Passagieren - „probiert“, nach vorheriger Schulung ausschließlich im Simulator. Obwohl die modernen Simulatoren wirklich sehr nahe an der Realität sind, sind sie doch am Boden festgeschraubt und man befindet sich niemals in echter Gefahr, was natürlich ein ganz anderes Stressniveau generiert, als das Erleben einer realen Flugsituation. Dann die Trainingsinhalte.
Handwerkliches Können wird nicht mehr geprüft
Für Simulator-Checks, vier mal pro Jahr, gibt es ein Programm, das abgearbeitet werden muss. Dieses beinhaltet Motorenausfälle und andere teils prekäre technische Havarien. Ich habe bereits während meiner aktiven Zeit mehrfach bemängelt, dass Fähigkeiten wie Navigation oder grundlegende Steuerungsfähigkeiten überhaupt nicht im routinemäßigen Simulator-Training geübt werden. Bis in die späten 1980er Jahre war der Gebrauch des Autopiloten im Simulator verpönt. Heute ist das anders. Auch im Simulator darf der Geprüfte diesen zu Hilfe nehmen und nur in seltensten Fällen wird ein Ausfall desselben simuliert. Das führt dazu, dass in routinemäßigen Überprüfungen nicht festgestellt werden kann, ob der Pilot sein Flugzeug auch ohne Autopilot sicher steuern kann. Gleiches gilt für die Navigation.
CFIT, Controlled Flight Into Terrain, also wenn ein unbeschädigtes Flugzeug gegen einen Berg knallt oder in einem Wald zerschellt, ist eine der häufigsten Ursachen für Totalverluste. Niemand fliegt freiwillig gegen einen Berg – auch wenn uns das weisgemacht werden soll, bei einem prominenten Unfall im Jahr 2015. Warum also passieren dann solche Unfälle? Ganz einfach: Die Piloten wussten nicht, wo sie sich befinden. Hätten sie es gewusst, wären sie nicht in den Berg geflogen. Hier setzt meine Kritik an. Es wird nicht trainiert oder überprüft, ob die Piloten in der Lage sind, immer und überall ihre Position genau zu bestimmen, routinemäßig oder bei Ausfall vitaler Systeme. Wieder gilt: Solange alles normal verläuft, geht alles gut.
Eindeutige Pilotenfehler führten zum Totalverlust
Mit dem Ausfall des Autopiloten der Air Asia war es vorbei mit professioneller Arbeit im Cockpit. Abgesehen von der zu stark verzögerten Reaktion auf den Fehler, war anschließend nicht mehr erkennbar, wer die Führung des Flugzeugs durchführt. Der Kapitän hat dem Copilot nicht die Führung entzogen, was er hätte tun müssen, nachdem dessen Reaktion unangemessen und nicht zielführend war. Der Flightrecorder belegt, dass beide Piloten irgendwelche Steuerungsimpulse mit ihren Sidesticks ausführten, unkoordiniert, was letztlich zum totalen Strömungsabriss und dem Totalverlust geführt hat. Eindeutiger Pilotenfehler. Nachdem in diesem Fall zweifelsfrei die Ursache feststeht, müsste jetzt einiges getan werden, um einen ähnlichen Unfall für die Zukunft möglichst unwahrscheinlich zu machen. Das wird nicht einfach sein.
Obwohl klar festzustellen ist, dass die Luftfahrt noch nie so sicher wie heute war, gilt es dennoch Defizite aufzuarbeiten. Moderne Piloten werden mehr als Systemingenieure geschult, denn als „Ritter der Luft“. Moderne Flugzeuge können nahezu autonom operieren, solange alles normal läuft. Das tut es aber nicht immer, und zwar öfter, als in der Öffentlichkeit bekannt wird. Wenn dann ein Unfall durch das qualifizierte Eingreifen der Piloten verhindert wird, erfährt die Öffentlichkeit auch nichts. Die überwiegende Mehrzahl der Piloten beherrscht ihre Aufgaben in ausreichendem Maße. Aber gerade bei jenen der jüngeren Generation sollte das Augenmerk bei der Schulung wieder vermehrt auf die „basic skills“, die elementaren Grundfähigkeiten des Fliegens, gerichtet werden. Es darf nicht sein, dass hunderte Menschen sterben müssen, weil der Autopilot seinen Dienst verweigert und die Crew mit dieser „Ausnahmesituation“ nicht umgehen kann.
Nachtrag: Die Europäische Kommission ist bereits vor zwei Jahren zu einer ähnlichen Analyse gekommen und hat sie hier veröffentlicht: http://cordis.europa.eu/result/rcn/54041_en.html