Körperliche Faltenwürfe sind kein leckeres Betthupferl
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Aufgespürte Geheimnisse & Störfaktoren des Alterns
Von Hans-Jörg Müllenmeister
Lecker hübsch alt zu werden – für die meisten von uns ein erstrebenswertes Lebensziel. Doch je näher wir diesem Ziel kommen, desto deutlicher zeigen sich die Grenzen, die unsere selbstgewählte Lebensführung setzt. Das Alter birgt viele Aspekte und Herausforderungen. Einige äußere (exogene) Faktoren tragen wesentlich dazu bei, wie wir altern und wie gut wir das Alter erleben.
Diese Erlebnisse sind zu 75% durch unsere Lebensweise und nur zu 25% durch unsere Genetik bestimmt. Sicher ist: Im Spiel der Lebenserwartung gibt es keine sichere Prognosen. Einige von uns benutzen ihre Jugend, um ihr Alter zu ruinieren.
So ist das Alter der Spiegel des Lebens. Bei älteren Menschen zeigt sich ihr innerer Gehalt daran, ob ihre Persönlichkeit Rost ansetzt, oder wertvolle Patina. Fein formulieren das die Spanier. Sie nennen die vorgerückten Jahre im Leben eines Menschen das „Metallalter“ (edad del metal), weil man da Silber im Haar, Gold im Mund und Blei in den Füßen hat.
Gesunde Lebensmittel für behutsames Altern
Wie sagte schon Sebastian Kneipp? „Der Weg zur Gesundheit führt durch die Küche, nicht durch die Apotheke“. Die Natur ist die größte Apotheke; ihre Medizin verbirgt sich oft in den naturgegebenen Lebensmitteln. Grüner Tee „verjüngt“ das Gehirn, Brokkoli-Sprossen verlangsamen den Alterungsprozess, Kidneybohnen bremsen Alters-Krankheiten aus, Olivenöl spricht für ein jüngeres Hautbild und ein längeres Leben. Granatäpfel, die natürlichen „Hautentfalter“ statt Botox, kurbeln die Kollagenproduktion an.
Inzwischen hat man weltweit eine Liste mit den gesündesten Lebensmitteln zusammengestellt. Neben Rote Beete, Petersilie, Chicorée, Blattsalat, Chinakohl und Mangold gibt es ein herausragendes Nährstoffwunder: die echte Brunnenkresse, die als Wasserpflanze in klaren Fließgewässern wächst. Dieses Kraut ist reich an den Vitaminen C, A, K und B2. Es enthält viele Antioxidantien, die bekanntlich freie Radikale im Körper bekämpfen, und somit das Risiko von chronischen Krankheiten reduzieren. Die ätherischen Öle wirken entzündungshemmend und die entgiftenden Eigenschaften helfen, schädliche Stoffe aus dem Körper zu entfernen.
Äußere Faktoren, die das Altwerden bestimmen
Ehe wir uns tiefer in die biologische Materie des Altwerdens vorwagen, wollen wir kurz die äußeren Begleitfaktoren erwähnen. Ausschlaggebend ist der Lebensstil, denn eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und ausreichend Schlaf, selbst das bewußte Atmen fördern ohne Zweifel das gesunde Altern. Auch geistige und soziale Aktivitäten sind entscheidend für das Wohlbefinden im Alter. Eine positive Einstellung und ein Gefühl von Sinn und Ziel im Leben tragen wesentlich zur Lebensqualität bei – unabhängig vom Alter. Chronischer Stress beschleunigt das Altern und erhöht das Risiko für verschiedene Krankheiten. Nicht zu unterschätzen ist die Luftverschmutzung, sind schädliche Chemikalien und schlechte Wohnverhältnisse, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken.
Das Verständnis und die Balance dieser Faktoren können zu einem erfüllteren und gesünderen Alter beitragen. Es kommt also entscheidend darauf an, wie wir altern.
Biologische „Anzeiger“ für das Altwerden
Telomere. Diese Stabilisatoren an den Enden eines jeden Chromosoms verkürzen sich bei jeder Zellteilung. Vergleichbar mit den Plastikenden an Schnürsenkeln, verhindern Telomere, dass Chromosomen ausfransen oder verklumpen und so den genetischen Code schädigen.
Im Durchschnitt teilen sich Zellen etwa 50 bis 70 Mal, bevor sie absterben.
Die Länge der Telomere steht im positiven Zusammenhang mit dem Verzehr von Hülsenfrüchten, Nüssen, Meeresalgen, Früchten, Milchprodukten und Kaffee, während sich der Konsum von Alkohol und verarbeitetem Fleisch negativ auswirkt.
Wir selbst können unsere Körperzellen durch Bewegung und Fasten verjüngen. Intervallfasten und dauerhafte Kalorienreduktion kurbeln die Autophagie, also die Selbstreinigung der Zelle, nachweislich an. Damit ermöglicht es der Körper, altes Zellmaterial zu recyceln. Bereits nach 13 bis 16 Fastenstunden setzt die Autophagie ein. Wohl gemerkt: Entsprechendes Intervallfasten ist eine ausgezeichnete Gesundheitsvorsorge!
Die Blut-Hirn-Schranke: ein hochkomplexer Geniestreich der Natur
Diese zellulären „Türsteher“ wirken als selektive Filter in den Blut-Gefäßwänden im Gehirn. Sie sind über die meisten Regionen des Gehirns verteilt, einschließlich des Hippocampus, unserem Gedächtnisbildner. 20% des vom Herzen ins Gehirn gepumpte, sauerstoffreiche Blut, führt an speziellen Blutgefäßwänden vorbei. Vorbei an dicht miteinander verwobenen Zellen, die nur wichtige Substanzen, wie Sauerstoff oder Glukose durchlassen. Diese „Türsteher“ verwehren ungebetenen Gästen, wie speziellen Ionen, Toxinen oder Krankheitserregern, die Passage.
Die Leistungsfähigkeit der Blut-Hirn-Schranke nimmt mit zunehmendem Alter ab. Ihre Funktion erlahmt, und die Filter lassen dann Eiweißmoleküle aus dem Blut passieren, die sie normalerweise zurückhalten. Die verbreitete Hypothese, dass allein die Ablagerung des Proteins Beta-Amyloid im Gehirn die Ursache für Morbus Alzheimer ist, verliert somit m.E. an Gültigkeit.
Diese neue Erkenntnis bietet gute Aussichten, künftig degenerative Gehirnerkrankungen zu heilen. Man müsste der schwindenden Leistungsfähigkeit der Blut-Hirn-Schranke Einhalt gebieten. Strategien und Therapien müssen dazu gefunden werden. Denn weltweit leiden 50 Millionen Menschen an dem Alzheimer-Syndrom, und jährlich kommen 10 Millionen Neuerkrankte dazu. Übrigens: Auch eine elektromagnetische Strahlung im GHz-Bereich (5G-Netz) bei hoher Energiedichte kann die Funktionstüchtigkeit der Blut-Hirn-Schranke erheblich stören.
Autophagie: die zelluläre Müllentsorgung
Wie die alten Griechen sagten, autóphargos – sich selbst fressend, beschreibt den Mechanismus, mit dem Zellen ihre eigenen Bestandteile abbauen und wiederverwerten. Die Körperzelle befreit sich so von schadhaften Komponenten, die zunächst in sackähnlichen Strukturen, den Phagophoren, verstaut werden. Es folgen einige teils noch unverstandene Zerlegungsprozesse. Die Crux dabei: Je mehr eine Zelle altert, um so häufiger treten „Demontagefehler“ auf.
Einige heikle Zerlegungsprozesse sind noch nicht vollständig verstanden. Chinesische Wissenschaftler sind auf der Entdeckungsreise nach potenziell geeigneten Substanzen, um die Autophagie durch Computer-Algorithmen tiefgründiger zu erforschen. Vielleicht kann die „zelluläre Müllabfuhr“ durch ausgefeilte Arzneien therapeutisch irgendwann genutzt werden – einerseits um den Abbauprozess selbst zu aktivieren, andererseits um die Abwehr des Einschleusens schadhafter Substanzen zu verbessern. Autophagie fördert die Vermehrung gesunder Zellen und kann das Risiko für die Entstehung von Krankheiten senken. Da muss Gevatter Tod länger auf sein Debüt warten.
Lebenserwartung: Wunschdenken und statistische Realität
Die höchste Lebenserwartung in Europa haben die Menschen in Monaco mit 89,5 Jahren, die geringste Lebenserwartung im afrikanischen Land Tschad mit 49,8 Jahren. In Goethes Faust grämt sich Faust: „Und so ist mir das Dasein eine Last, der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt“. Mephisto zynisch: „Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast“. Weniger martialisch formuliert: Wir fallen früher ins thermodynamische Gleichgewicht als gedacht.
Betrachten wir unser Abdanken von der Weltbühne einmal statistisch an einem radikal vereinfachten Szenario. Angenommen, die Hälfte der Menschheit stürbe mit 50 Jahren, die andere erreicht exakt 100 Jahre. Dann beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung 75 Jahre – und das bleibt so, bis die erste Hälfte das Alter von 50 Jahren erreicht. Die Überlebenden aber, erfüllen die Erwartung von 100 Lebensjahren. Die durchschnittliche Überschätzung von 12,5 Jahren für dieses unrealistische Szenario ist überraschend nahe an der Realität (1/2 x 25 +1/2 x 0 = 12,5 Jahren).
In Wirklichkeit sterben die Menschen nicht an zwei festgelegten Daten, sondern gleichmäßig über die Zeit verteilt. Die Sterbewahrscheinlichkeit steigt exponentiell mit dem Alter, von einem sehr niedrigen Wert im Kindesalter. Der Denkfehler liegt in der Durchschnittsbildung über alle Menschen. Man sollte sich vielmehr mit Gleichgeprägten hinsichtlich Gesundheit und Alter vergleichen, eben mit der kleineren Teilmenge seinesgleichen. Das heißt, je älter man ist, desto größer wird die statistische Wahrscheinlichkeit, noch älter zu werden.
Die Kryokonservierung: Hoffnung auf ein besseres Zweitleben
Die Menschen sind schon merkwürdige Geschöpfe. Einige wollen dem Tod ein Schnippchen schlagen. Bereits vor 57 Jahren ließ sich der erste Amerikaner direkt nach seinem Tod kryokonservieren, also einfrieren. Seitdem liegt sein Körper, auf -200°C abgekühlt, in einem Behälter mit flüssigem Stickstoff. Von diesen „Kryomanen“ gibt es Tausende weltweit. Vielen von Ihnen glauben, damit ihre Lebenszeit zu verlängern und in einer fortschrittlichen Zukunft wiedererweckt zu werden. Fehlt ihnen vielleicht Geschichtsunterricht?
Trotz der Fortschritte in der regenerativen Medizin ist das alles eher Science-Fiction. Es geht schließlich um komplexe Organe wie das Gehirn und das Herz. Organe reagieren unterschiedlich auf die Gefrierflüssigkeit. Einige Zellen enthalten mehr Wasser; sie sind daher anfälliger für Eiskristallbildung, die die Zellmembran schädigt.
Bestandsaufnahme
Die Vereinten Nationen schätzen, dass im Jahre 2020 weltweit etwa 573.000 Menschen über 100 Jahre alt waren, das sind mehr als 20-mal soviel wie 50 Jahre zuvor. Hundert Menschen weltweit zählen sogar zu den über 110-Jährigen. Noch hält die Französin Jeanne Calment mit 122 Jahren den Lebenszeitrekord. Älter werden ist immerhin die einzige Möglichkeit, länger zu leben. Erstaunlich ist, dass man bis ins hohe Alter Abschied von seiner Jugend nimmt.
Abschließend möchte ich tröstliche Worte unsers Dichterfürsten Goethe zitieren, der mit 82 Jahren von uns ging: „Summa Summarum ist das Alter eigentlich niemals erquicklich“.