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Mitochondrien: Die Kraftwerke der Zellen für Energie & Stoffwechsel
Von Hans-Jörg Müllenmeister
Gelegentlich hören wir etwas von den mysteriösen Mitochondrien, oft im Zusammenhang mit der Aufklärung von Verbrechen durch ihre DNA. Doch diese winzigen Lebensspuren sind sogar weit häufiger in unserem Körper vertreten als ihre zellulären Wirte selbst – die Grundbausteine des Lebens.
Die Natur birgt eine Vielzahl ähnlicher Strukturen, die auf geheimnisvolle Weise miteinander verwoben sind. So wie unser Körper eine Herberge für seine Organe bietet, schaffen unsere Zellen als kleinste Einheiten Lebensraum für die Mitochondrien – kleine, aktive Organellen. Diese lebhaften ovalförmigen Bewohner, die zwischen 0,5 bis 1 Mikrometer (1 millionstel Meter) groß sind, werden von einer doppelten Membran aus Lipiden und Proteinen umschlossen. Mit 10 bis 2000 und mehr dieser kleinen Energiezentren pro Zelle machen die Mitochondrien etwa 22% des Zellgewichts aus.
Ihre hochkomplexen Aktivitäten sind schon bei einem flüchtigen Blick zu erahnen. Erst neulich entdeckten Wissenschaftler den Mechanismus, wie Mitochondrien lokale Schäden recyceln, um ihre gesunde Funktion aufrechtzuerhalten. Weniger bekannt ist, dass inaktive Mitochondrien die eigentliche Ursache für Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson sein können. Aufgrund der verwickelten Prozesse in diesen Zellorganellen, wollen wir uns hier auf einige ihrer spannendsten Funktionsweisen konzentrieren.
Die interessante Urgeschichte der Mitochondrien
In grauer Urzeit entstanden die frühen Mitochondrien, als sich größere Urzeller eigenständige kernlose Zellen (Prokaryoten) einverleibten. Diese wurden von der Membran der Urzelle umschlossen und schienen zunächst Beute zum Verdauen zu sein. Aber halt, die Urzelle erkannte bald die nützlichen Eigenschaften ihres unverdauten Gastes und bot ihm Schutz und Nährstoffe.
Der Clou: Den frühen eukaryotischen Zellen mit Kern – zuvor anaerobe Zellen ohne Zellatmung – war es durch ihre Untermieter erstmals möglich, die viel effektivere sauerstoffabhängige Energiegewinnung zu nutzen. So entstand die erste symbiotische Wohngemeinschaft zwischen dem Wirt und dem neuen Untermieter im Mikrokosmos: ein wichtiger Schritt in der Evolution, der zur Entwicklung der eukaryotischen Zellen führte. Diese Zellen entwickelten sich über mehr als 1,2 Milliarden Jahren weiter und sie sind bis heute bei allen Säugern der Erde vorhanden.
Durch die Integration von Mitochondrien konnten eukaryotische Zellen effizienter Energie produzieren und neue ökologische Nischen besetzen. Das führte zu einer größeren Vielfalt und Komplexität des Lebens.
Bewegungen der Mitochondrien – der Kürze wegen, „Mt“ genannt
In Innern der Zelle bewahrt das Zellwasser die uralte chemische Erinnerung an das Urmeer. In diesem Medium bewegen sich die Mt nicht zufällig wahllos, sondern koordiniert auf mikroskopisch kleinstem Raum innerhalb des Zytoskeletts, einem ausgedehnten Netzwerk aus Proteinen unterschiedlicher Gestalt. Das dynamische Zusammenspiel und die koordinierte Bewegung der Mt auf kleinstem Raum ist ein wahres Wunder der Natur.
Diese Bewegungen sind entscheidend, um Energie effizient bereitzustellen und zu regulieren, sodass sie den Bedürfnissen der Zelle gerecht werden. Motorproteine unterstützen den Transport der Mt und nutzen ATP (Adenosintriphosphat) als Energiequelle für die Bewegung – ATP, der wesentliche Energiespeicher der Zelle.
Warum all dieser Bewegungsaufwand? Nun, beispielsweise müssen Mt während der Zellteilung gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt werden. Ihre Bewegung hilft dabei, diese Verteilung sicherzustellen. Außerdem bewegen sich Mt gezielt, um beschädigte Teile zu ersetzen oder sich mit anderen Mt zu vereinen, um beschädigte DNA oder Proteine im Team zu reparieren.
In einer Minute können die Mt eine Strecke bis etwa 90 Mikrometern zurücklegen, abhängig von den spezifischen Bedingungen in der Zelle. Auf uns übertragen, entsprächen das etwa 50 mal unserer Körperlänge pro Minute, wir müssten täglich einen 10-km-Hindernislauf zurück legen. Unsere innere Mikrowelt ist durchaus aktiver als wir selbst, doch diese Bewegungen sind essenziell für die zelluläre Funktion und das Überleben der Zellen.
Das faszinierende Bereitstellen der Energie durch Mitochondrien
Die Hauptaufgabe der Mitochondrien ist die Produktion von Adenosintriphosphat (ATP); das ist die universelle Energiewährung der Zelle. Dieser Prozess wird als oxidative Phosphorylierung bezeichnet und findet in der inneren Membran der Mitochondrien statt. Alle Zellen im Körper verwenden dieses Molekül als Energielieferant: Ort der Zellatmung, die Synthese wichtiger Moleküle und der Fettsäureabbau. Doch die Funktionen der Mitochondrien gehen noch weit über die Energieproduktion hinaus.
ATP wird für viele wichtige Zellprozesse verwendet, wie die Kontraktion von Muskeln, die Übertragung von Nervenimpulsen und den Transport von Molekülen über Zellmembranen. Die Energie wird freigesetzt, wenn ATP in ADP (Adenosindiphosphat) und anorganisches Phosphat gespalten wird.
Die Produktion von ATP geschiet hauptsächlich durch zwei Prozesse: durch Glykolyse und den Citratzyklus in der Matrix der Mitochondrien. Im ersten Fall wird Glukose abgebaut und eine kleine Menge ATP entsteht. Der Citratzyklus produziert dann Elektronen, die in der Atmungskette verwendet werden, und erzeugt den Protonengradienten; das ist der zeitliche Unterschied in der Konzentration von Protonen. Dieser Gradient treibt die ATP-Enzyme an, die ATP erzeugen.
Mitochondrien: Protagonisten einer genialen Lebensstrategie
Mitochondrien bewirken den Freitod (Apoptose) der Zellen. Zwischen 50 und 70 Milliarden unserer Körperzellen sterben täglich einen programmierten Freitod. Jeden Tag gehen allein zwischen Zehn- bis Hunderttausend Neuronen (Nervenzellen) zugrunde. Es ist kein Widerspruch, wenn die Kraftwerke der Zellen, die Mt, Garanten für das Überleben eines Organismus, zugleich die Todesengel der nicht intakten Zellen sind. Dank ihrer scheiden marode Zellen zeitlich perfekt aus dem Leben aus und machen Platz für intakte, frische Zellen – das Gleichgewicht des Gewebes ist wieder hergestellt. Durch den gezielten Zelltod schützt sich der Organismus vor neurodegenerativen Erkrankungen, Autoimmun-Erkrankungen und Krebs.
Die todgeweihten Zellen zerplatzen nicht einfach wie ein Ballon an ihrem Lebensende. Vielmehr sorgt ein bestimmtes Protein für Sollbruchstellen. Genau an diesen Stellen bricht die Zellmembran auf, und nicht zufällig irgendwo. Man erklärt den Vorgang der Apoptose (programmierter Zelltod) folgendermaßen: Leitet eine Zelle die Apoptose ein, entstehen Löcher in der Hüllmembran der Mitochondrien. Dadurch treten bestimmte Proteine aus ihrem Inneren in das umgebende Zellplasma. Das setzt eine Kettenreaktion in Gang, die die Zelle unweigerlich tötet. Genauer: das Protein Bax auf den Mitochondrien organisiert sich in großer Zahl zu Ringen auf der Mitochondrien-Membran und bewirkt, dass sich die Membran öffnet. Erst kürzlich dokumentierten Wissenschaftler erstmals diesen Vorgang, der ähnlich wie ein Reißverschluss, die Membran der Mitochondrien aufreißt.
Diese neu gewonnenen Erkenntnisse sollen bei der Entwicklung neuer Medikamente für die Bekämpfung von Krebs helfen, da Krebszellen zumeist für diese Art des Zelltod unempfindlich sind.
Mitochondrien regulieren den Calziumstoffwechsel der Zellen
Mitochondrien speichern Calziumionen und helfen dabei, die Calzium-Konzentration in der Zelle zu regulieren. Diese Regulation ist entscheidend für verschiedene zelluläre Prozesse, einschließlich der Muskelkontraktion, der Signalübertragung und der Aktivierung von Enzymen. Störungen im Calzium-Stoffwechsel können zu einer Reihe von Erkrankungen führen, darunter neurodegenerative Krankheiten und Herzprobleme.
Eigentliche Ursachen der Demenz-Erkrankungen
Unserer Gehirnzellen allein verfügen über mehrere Tausend Mitochondrien (Mt). Im Gegensatz dazu sind Blutkörperchen frei von Mt. Neuronen verbrauchen rund 20% der gesamten Körperenergie, die von MT produziert wird. Wehe, wenn die Mt durch Fehlfunktionen nicht mehr genug „Kraftstoff“ für die geistigen Aktivitäten bereitstellen – dann kann es zu verheerenden Hirnerkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson kommen.
Es ist noch nicht lange bekannt, dass es in den zellulären Kraftwerken der Gehirnzellen von Alzheimer-Patienten weniger Kopien der mitochondrialen DNA vorhanden sind, meist belastet mit Gendefekten – vor allem im präfrontalen Cortex, einer anatomischen Region des Frontallappen im Gehirn. Die eigentliche Ursache für Demenz sind nicht, wie bisher angenommen, die charakteristischen Ablagerungen der Proteine Tau und ß-Amyloid. Diese sind die Folge eines deutlich verlangsamten Stoffwechsels im Gehirn: Das Denkorgan bekommt zu wenig ATP von den Mitochondrien geliefert, genau das ist die eigentliche Ursache.
Die Bedeutung mitochondrialer DNA (mtDNA) in der Forensik
Die oft zitierte nukleare DNA (nDNA) enthält im Zellkern die genetische Information fast aller Proteine, die eine Zelle benötigt. In der Forensik wird sie verwendet, um Verdächtige zur identifizieren, da sie einen einzigartigen genetischen Fingerabdruck liefert. Sie bietet individuellere Informationen und ermöglicht eine gute Unterscheidung, ist aber empfindlich gegenüber Abbau und Alterungsprozessen.
Im Gegensatz dazu ist die mitochondriale DNA (mtDNA) in weit größeren Mengen pro Zelle vorhanden und daher widerstandsfähiger gegen Abbau. Die robustere mtDNA wird in kleineren oder älteren Proben verwendet. Sie enthält Gene, die Informationen für Proteine und funktionelle RNAs speichern, die speziell Mitochondrien benötigen. Mit der mtDNA ist es auch möglich, mütterliche Abstammungslinien zu erkennen.
Schlussbetrachtung
Erst vor kurzem hat die Biowissenschaft begonnen, sich intensiv mit den kleinsten Bausteinen des Lebens auseinanderzusetzen: den Organellen in den Zellen. Diese Forschungen haben besonders in der Neurologie und Onkologie bemerkenswerte Fortschritte gemacht – und dennoch stehen wir erst am Anfang. Es ist, als hätten wir gerade erst die ersten Seiten des Buches des Lebens aufgeschlagen. Diese Entdeckungen erfüllen uns mit Stolz und Demut und laden uns ein, weitere Geheimnisse der Natur zu erkunden.
Unser Verständnis des Lebens wird sich weiterentwickeln, und ungeahnte Entdeckungen werden unsere Sicht auf das Leben stetig erweitern. Bedenken wir, dass wir die Harmonie mit der Natur verloren haben und die Weisheit durch wissenschaftliche Erkenntnisse wiedergewinnen müssen. Bleibt die bange Frage, ob auch wir die Einsicht besitzen, unser Selbst in Demut weiter zu schulen.