Unser Körper: Bakterienzoo vom Feinsten
Von Hans-Jörg Müllenmeister
Es geht um ein riesiges Imperium − kennen Sie dieses Ökosystem, das von Aberbillionen Lebewesen dicht besiedelt ist? Nein, dann lernen Sie Ihren Körper als Einzelkämpfer näher kennen, inmitten winziger Mitbewohner. Eigentlich sind fast alle Mikro-Siedler friedlich, bis auf ein paar pathogene Bösewichte. Duzende perfider Krankheitserreger haben es aber in sich. Mit raffinierten Strategien können sie uns schädigen, ja sogar unseren Lebensweg abkürzen. Von diesen Meistern der Manipulation und Giftmischkunst sei hier auch die Rede.
Das Angst-einflößende Imperium der Mikroben
Die ersten Lebensformen waren deutlich einfacher als die heutigen Bakterien; diese bestanden bereits aus vielen Millionen Molekülen, darunter Proteinen, die sich aus mehr als 100.000 Atomen zusammensetzen. Erste einzellige Mikroorganismen erschienen auf der Erde vor etwa 3,8 Milliarden Jahren. Vielzeller entwickelten sich erst vor etwa 600 Millionen Jahren und der Homo sapiens stand sogar erst vor etwa 130.000 Jahre auf der Weltbühne. Die einfachen Genome von Mikroorganismen bestehen gewöhnlich aus nicht mehr als zehn Millionen DNA-Basen, im Vergleich zu den etwa drei Milliarden Basen des menschlichen Genoms.
Weltweit schätzt man, dass sich auf unserem Planeten fünf Quadrillionen (eine fünf mit 30 Nullen) Mikroben tummeln, und das mit einem Gesamtgewicht von etwa 550 000 Tonnen − dem 3,4-fachen Steingewicht des Kölner Doms. Sie stellen mit 70% den größten Anteil an lebender Materie (Biomasse) dar. Dabei wiegt ein einziges Bakterium nur an die 0,000.000.000.000.11 Gramm.
Der Wanderzirkus der Bakterien an und im Menschen
Damit wir die richtige Relationen finden: Der Homo sapiens ist eher vergleichbar mit einem besetzten Kontinent aus Mikroben, oder besser, er ist ein wandelndes zweibeiniges Ökosystem. So gesehen ist keiner von uns wirklich einsam. Schauen Sie bloß mikroskopisch nach, auf der Haut, in der Speiseröhre, in den Darmwindungen, überall finden sich Bakterienkolonien in einem Biofilm. Etwa einer Billiarde Mikroorganismen stehen 10 bis 100 Billionen menschliche Zellen gegenüber, dies entspricht einer Gesamtmasse von 0,5 bis 1 kg Mikroorganismen. Allein in unserem Darm leben schätzungsweise rund 100 Billionen Bakterien aus bis zu 2.000 unterschiedlichen Arten. Das ist die höchste „Einwohnerdichte“ eines Ortes weltweit. Nur höchstens jede zehnte Zelle in und auf dem Körper „menschelt“. Würde man uns mitsamt von diesem Mikrobion genetisch analysieren, wären wir nur zu etwa 10 Prozent reinrassig „menschlich“. Die Anzahl der Gäste überwiegt also. Unter ihnen sind wir eine Rarität.
Die Symbiose zwischen Bakterien und Mensch
Was treiben diese Mikros die ganze Zeit? Sie liegen nicht etwa faul auf der Haut, sondern helfen dem Körper z.B. bei Stoffwechselfunktionen. Allein in unserem Darm laben sich die kleinen Helfer an unseren Speisen und setzen dabei wichtige Nährstoffe frei. Ohne sie wären die Lebensmittel überhaupt nicht oder nur sehr eingeschränkt von uns zu verwerten. Unser Körper bietet nicht nur „Unterkunft und Verpflegung“. Zwar hat jeder Mensch seinen individuellen Bakterienzoo am und im Körper. Indes gibt es Gemeinsamkeiten bei den Mikroben-Gruppen, die verschiedene Körperregionen bevölkern. Das Gruppenprofil hängt vor allem von den Bedingungen der jeweiligen Region ab. Übrigens hinter den Ohren reichern sich gern Cyanobakterien an.
Charakteristisches der Bakterien
Viel zu lange sahen wir die Bakterien „monolithisch“ als pure Schädlinge. Das Heer der Mikro-Nützlinge blieb so von uns unentdeckt. Umgeben von einer schützenden Zellwand, besteht das Innenleben der Einzeller aus dem Erbgut und einer „Fabrikationsanlage“ für Eiweißstoffe. Im Gegensatz zu den Viren (s. Beitrag Viren: parasitäre Gast-Zombies im Körper) haben Bakterien einen eigenen Stoffwechsel, können also Nährstoffe aufnehmen und verarbeiten. Sie vermehren sich auch selbstständig, meist durch Teilung. Einige haben sogar einen „Antrieb“ mit dem sie sich fortbewegen.
Pathogene, die gnadenlosen Vollstrecker
Betrachten wir nur die angriffslustigen Varianten, die in den Körper eindringen und Infektionskrankheiten verursachen. Über Blut- und Lymphbahnen finden die Krankheitserreger zu den Zielorganen, die ihnen das beste Habitat bieten. So befallen Grippeviren die Schleimhäute der oberen Atemwege, Malariaparasiten die Leber und rote Blutzellen, während Tuberkulosebakterien alle Organe, meist aber die Lunge angreifen. Durch Infektionen können lebensbedrohende Organschäden entstehen. 25% aller Todesfälle weltweit verursachen Krankheitserreger. Bakteriell bedingte Krankheiten sind z.B. Borreliose, Syphilis, Cholera, Salmonellosen und Wundstarrkrampf. Einige Bakterienarten, wie Salmonellen oder Tuberkelbazillen, dringen wie Viren auch in Zellen ein, um sich dort zu vermehren. Allein die Tuberkulose rafft jährlich etwa zwei Millionen Menschen dahin. Im 14. Jahrhundert erlag schätzungsweise ein Drittel der Bevölkerung Europas der Pest.
Manipulation ist Trumpf
Noch vor einiger Zeit glaubten Molekularmediziner, es genüge die Angriffsstrategien bakterieller Erreger im Nährmedium zu erforschen. Dabei ließ man aber das Wechselspiel zwischen Erreger und Wirt außer Acht. Inzwischen ist bekannt, dass die „schlauen“ Krankheitskeime vor Ort den Wirt ganz anders zu ihren Gunsten manipulieren. Pathogene nutzen die Körperzellen und ihre Kommunikationssysteme für ihre Zwecke. Einige heimtückische Keime eliminieren die Bakterien-Nützlinge, damit sie nicht in Konkurrenz mit ihnen geraten; andere spritzen spezielle Proteine in die feindlichen Zellen, damit die Zellmaschinerie ihnen zu Willen ist. Das ist überhaupt der Clou böser Mikroorganismen.
Arbeitsweise einiger Bösewichte: erst injizieren, dann versklaven
Viele Pathogene nutzen ihre Injektionssysteme, um zelluläre Signal- und Immunreaktionen der Wirtszellen gezielt zu versklaven. Dass z.B. Legionellen sogar in Immunzellen eindringen − von denen sie eigentlich gefressen werden sollen − zeugt von der „Unverfrorenheit“ des Bakteriums, sich die Zellmaschinerie nutzbar zu machen. Dabei setzt Legionella seinen T4SS-Injektionsapparat ein: Bestimmte Proteine infizieren die Wirtszelle. Perfide geht auch der Pesterreger vor. Yersia pestis schleust mit seinem T3SS-Apparat Effektorproteine in den Wirt. Diese Stoffe sorgen für eine „Maulsperre“ der Immunzelle. Dann ist Schluss mit dem Verschlingen des Keims. Beide, Fresszellen und Pestbakterien führt der Blutstrom weiter. Sie bleiben im Filter des Lymphknotens hängen. Hier findet der Erreger beste Vermehrungschancen. Es kommt zu schmerzhaften Schwellungen, die Symptome der Beulenpest.
Der Ruhrerreger Shigella kann bereits das Herstellen der Antikörper unterbinden. Er verhindert, dass Phagozyten den T-und B-Zellen Bestandteile der verschlungenen Keime „zum Kennenlernen“ herzeigen. Man nennt das Antigenpräsentation. Samonellen treiben sogar die Phagozyten in den Selbstmord, bevor diese überhaupt das Immunsystem alarmieren können.
Genial und teils unverstanden ist, wie sich der pathogene Stamm O157 des Darmbakteriums Escherichia coli Zutritt in die Wirtszelle verschafft. Das Biest stellt seinen eigenen Zellrezeptor her; den schleust es in die Körperzelle mit einer Kanüle über einen eigenen T3SS-Apparat ein. Injiziert werden über 40 so genannte Effektor-Proteine in die Außenmembran. Diese Prozedur drückt die Zellmembran des Wirtes nach außen. Es bildet sich eine Art von Bohrplattform, auf dem sich E.coli O157 sicher verankern kann.
Bakterien eroberten den ganzen Planeten
Wie gesagt, die sabotierende Bakterienmafia in der Körperwelt ist nicht allein auf der Erde. Viele bakterielle Mini-Lebenspartner sind unsere Freunde. Es gibt sogar Riesenexemplare wie die so genannte Schwefelperle von Namibia Thiomargarita namibiensis, die man erst 1997 entdeckte. Das einzig sichtbare Bakterium, denn es ist fast ein Millimeter groß, also mit bloßem Auge sichtbar. Im Gegensatz zu den meisten Schwefelbakterien kann das Bakterienmonster Sulfide unter bestimmten Bedingungen auch mit Sauerstoff umsetzen, es ist also wahlweise aerob. Dagegen entdeckte der Mikrobiologe Harald Huber den kleinsten Einzeller von nur 400 Millionstel Millimeter in 120 Metern Meerestiefe vor Island. Dieser Ur-Zwerg „reitet“ in vermutlich symbiotischer Gemeinschaft auf einem weiteren Exoten namens Ignicoccus. Der Winzling erhielt den Namen Nanoarchaeum equitans. Sein Genom umfasst gerade einmal eine halbe Million Basenpaare und ist damit das kleinste, jemals bei einem Einzeller gefundene Erbgut.
Da kursiert unter vielen Wissenschaftlern der Irrglauben, dass das Energie-intensive UV-Licht alles Leben in den Wolken abtötet. Aber am Himmel geht es alles andere als steril zu, denn Regen kann Spuren von Bakterien enthalten. Man analysierte Hagelkörner bei einem Gewittersturm. Das Eis konserviert organische Inhalte aus der Wolke wie Tiefkühlkost. Verblüffend: Die Kumuluswolke enthielt eine hohe Konzentration an organischen Verbindungen, so viel und so verschieden, wie wir sie in Flüssen finden. Selbst im Tiefengestein der Erde bis in eine Tiefe von über 3.000 Metern leben Bakterien.
Fazit: Nicht abtöten, sondern entwaffnen
Das Wettrüsten gegen krankmachende Keime ist mit dem Allheilmittel der Antibiotika nicht gewonnen. Einziger Gewinner ist die Pharmaindustrie. Offensichtlich gibt es eine problematische Resistenzbildung gegen antibiotische Medikamente. Armeen von Pathogenen führen nämlich ein unendlich variables Rüstungspotential gegen unser Immunsystem im Schilde. Die Medizin muß neue Wege finden, um ihnen Herr zu werden. Nicht abtöten heißt die Devise, sondern sie zu entwaffnen! Ziel wäre es, die Mikroflora des Wirtes so zu stärken, dass sie für Krankheitskeime eine ernste Konkurrenz wäre. Das so manipulierte Umfeld des Keims müsste ihm einfach nicht mehr behagen.
Unsere Gesellschaft im Vergleich zur Bakterienwelt
Unser Körper unterhält einen Bakterienzoo vom Feinsten; darunter wüten auch einige mordende Bestien. Aber verglichen mit der menschlichen Gesellschaft, nehmen sich die wahren Schädlinge des riesigen Bakterienimperiums − einige „Böslinge“ zu einer Million „Bravlingen“ − bescheiden aus: Dagegen sitzen allein in den USA über zwei Millionen Kriminelle hinter Schloss und Riegel, also etwa ein Einsitzender von hundert Einwohnern. Eine erschreckend hohe Quote. Träfe das gleiche für die Anzahl der pathogenen Keime zu, gäbe es uns überhaupt nicht mehr auf dem Globus; wir wären längst hinweggerafft. Unter Myriaden von Mikro-Zoobewohnern ist jeder von uns ungewollt ein Zoobesitzer − eine Rarität sondergleichen.
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