Diesel: Ständiger Kampf am technologischen Limit
Der VW-Konzern hat 1974 erstmals einen Kleinwagen (Golf) mit einem Dieselmotor ausgestattet. Die günstigen Verbrauchswerte haben diesen Motor salonfähig gemacht, obwohl er immer noch dieseltypisch gerußt hat. Ermutigt von diesem Erfolg wurde die Technologie weiterentwickelt, wurde sauberer und noch effizienter. Diese Eigenschaften haben dem Diesel viele Freunde beschert, aber auch Feinde. Dass weniger Öl verbraucht wird, gefällt den Ölgesellschaften ganz und gar nicht.
Solange dicke Rußflocken aus dem Auspuff kamen, war alles klar, man konnte sich die Nase zuhalten. Heutzutage, ohne Rußausstoß, ist ohne Messgerät nicht mehr erkennbar, ob und welche schädlichen Abgase den Auspuff verlassen und was den Schädlichkeitsgrad anbelangt. Normierte Messverfahren sollen dabei helfen, aber genau hier ist der Pferdefuß. Die Motoren werden punktgenau auf diese Parameter hingetrimmt und offensichtlich gab es dabei betrügerische Manipulationen. Technisch gesehen, wird es immer schwieriger, den Vorschriften gerecht zu werden, und es stellt sich hier auch schon die Frage, ob es sinnvoll sein kann zu fordern, dass – sarkastisch ausgedrückt – die Luft, die den Auspuff verlässt, sauberer ist als die, die zugeführt wird. Der nachfolgende Artikel setzt sich sehr detailliert mit der Entwicklung der Diesel-Technologie auseinander. Unser Gastautor war viele Jahre befasst mit Abgasmessungen und ist ein intimer Kenner der Probleme, die den Herstellern dieser Motorenart mit den Abgasvorschriften aufgebürdet werden.
Das VW-Desaster - eine Katastrophe mit Ansage
Rudolf Diesel hatte ein Problem. Er hatte in der Theorie den idealen Kreisprozess dieser neuartigen Wärmekraftmaschine klar vor Augen, alleine, es krankte an den technischen Möglichkeiten, diesen abzubilden. Wie sollte er, nahe dem maximalen Verdichtungsdruck, dem oberen Totpunkt des Kolben, seinen Kraftstoff in den Brennraum befördern, wo er sich, bedingt durch die, mit der hohen Verdichtung der Luft einhergehenden Verbrennung, von selbst entzünden sollte? 1897 war dann der erste funktionierende Motor fertig. Die Zufuhr des Kraftstoffes erfolgte damals noch mit einem komplizierten und anfälligen Drucklufteinblasungssystem. Aber erst durch die von Robert Bosch konzipierten Einspritzpumpen, die mittels kleiner Pumpkolben die nötigen Einspritzvolumina gegen die Verdichtungsenddrücke in dem Brennraum beförderten, begann der Siegeszug des Dieselmotors. Sein Drehmomentverlauf bei niedrigen Drehzahlen und seine Verbrauchsvorteile gegenüber dem Benzinmotor machten ihn zu Beginn seiner Karriere zur ersten Wahl bei Lastkraftwagen und landwirtschaftlichen Fahrzeugen.
Hugo Junkers betrieb seine legendären Gegenkolbenmotoren als Zweitaktdiesel in den dreißiger Jahren sogar in Flugzeugen. Allerdings förderten die derart motorisierten Flugzeuge schon in den dreißigern mit ihren Rußfahnen , deutlich an den Himmel geschrieben, die Nachteile des Dieselmotors vor Augen. Auch waren die Piloten der Kampfflugzeuge wenig begeistert davon, sich mit ihren rußenden Aggregaten frühzeitig beim Gegner „anzukündigen“.
Bei Vollast fehlte es dem Dieselmotor an der Luftmenge für eine vollständige und effiziente Verbrennung, er rußte. Dem wurde in der Luftfahrt wesentlich früher, als in der Automobilindustrie, mit Turboaufladung begegnet.
Der zweite prinzipbedingte Nachteil des Dieselmotors, seine Stickoxidemmissionen, sollte sich erst später offenbaren.
Meilenstein in der Entwicklung war die Erfindung des Vorkammer Prinzips durch Prosper L’Orange 1909. Der Kraftstoff wurde in einem kleinen kugelförmigen Vorbrennraum eingespritzt, wo es zum zünden und überblasen in den Hauptbrennraum kam. Die entstehende, kräftige Turbulenz sorgte für eine gute Verbrennung. Der nächste wichtige Entwicklungsschritt war der direkt einspritzende Dieselmotor, bei dem der Brennraum in die Kolbenmulde verlegt wurde. Das alles änderte aber nichts an der Tatsache, dass es sich bei diesem Antrieb um ein behäbiges System handelte. Das Motto der Dieselfahrer in den 50ern lautete: „lieber das Leben riskieren, als Schwung verlieren“.
Das alles änderte sich mit der Präsentation des Golf Diesel im Jahre 1974. In neun Jahren verkaufte VW über eine Million Fahrzeuge dieses Models. Dieses agile Auto mit einem Verbrauch von ca 5 l auf 100 km ermöglichte Reichweiten von 1300 km mit einer Tankfüllung. Eine Fahrt an die Atlantikküste, von Frankfurt aus, ohne zu tanken, war plötzlich möglich.
Allerdings musste VW am Anfang viele Motoren deren Zylinderkurbelgehäuse, die vom Audi Benzinmotor entliehen waren und zu Rissen neigten, gegen Kulanz austauschen, um den Siegeszug dieses Wagens nicht an diesen Schäden scheitern zu lassen. Die größere Effizienz dieser Antriebsart wurde mit einer höheren Belastung aller Bauteile erkauft, diesen Erkenntnisgewinn mussten die Konstrukteure erst nachvollziehen. Gleichzeitig unterlag der Dieselmotor von Anfang an den EURO Abgasnormen. Mit Einführung der EURO 1 im Jahre 1992 wurde der Ausstoß der Kohlenwasserstoffe und der Stickoxide (HC und Nox) auf 1130 Milligramm pro km limitiert, die Partikelmasse, der Ruß, auf 180 Milligramm pro km.
Die heute gültige Schadstoffklasse, EURO 6 erlaubt noch 170 Milligramm Stickoxide (HC und Nox) auf den Kilometer, beim Russ sind 4,5 Milligramm pro km erlaubt. Grob betrachtet, kommt aus einem heutigen Dieselfahrzeug noch ein Siebtel, des Schadstoffausstoßes verglichen mit den 80er Jahren. Das deckt sich auch mit den Erfahrungen der Älteren, die sich noch daran erinnern können, was es bedeutete, am Berg von einem Saugdiesel mit seinen hier besonders zu Tage tretenden Luftmangelproblemen überholt zu werden.
Wie konnte es die Autoindustrie schaffen, diese vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Schadstoffreduktionen zu gewährleisten? Es war ein Kampf, ein ständiger Kampf am technologischen Limit. Der normale Turbolader wurde durch einen mit variabler Geometrie ersetzt. Dieser eliminierte das früher bekannte Turboloch. Die Einspritzdüsen verfügten nicht mehr über 4 und 5 Loch Geometrie sondern spritzten den Kraftstoff durch bis zu 9 Löcher (NFZ Motor) deren Durchmesser im Laufe der Jahre von 500 Mykrometer (tausendstel Millimeter) auf ca. 100 Mykrometer zurückging. Möglich wurde das Bohren solcher mehr als haarfeinen Löcher nur durch die aufkommende Lasertechnologie.
Ein weiterer Erfolgsfaktor war das Aufkommen von elektronisch geregelten Einspritzsystemen. Diese ermöglichten weitere Steigerungen von Effizienz und Emission. Ein moderner Dieselmotor hat während einem einzigen Verbrennungstakt bis zu 25 Einspritzungen. So erzeugt eine Voreinspritzung heute die Verwirbelungen im Brennraum die für eine möglichst Schadstofffreie Verbrennung notwendig sind und die Prosper L`Orange noch mit seiner Wirbelkammer erzeugen musste und mit Strömungsverlusten beim Übertreten der Gase in den Hauptbrennraum erkaufte.
Mit all diesen Verbesserungen stiegen die Ansprüche an die Werkstoffe, die diese Kräfte zu erdulden hatten. So zog jeder Entwicklungssprung der Verbrennungsverfahren einen Entwicklungssprung bei den Werkstoffen nach sich. Ob der Gusslegierungen für die Zylinderkurbelgehäuse, der Kurbelwellenwerkstoffe, der Ventile, alles ist heute wesentlich weiter in seinen Festigkeiten, als zu Beginn des Dieselmotors. Die Einspritzdrücke liegen heute bei 2400bar. Wer schon einmal versucht hat, einen Wasserhahn abzudichten, der normalerweise mit 6 Bar beaufschlagt ist, hat eine Vorstellung von diesen Drücken. Eine gewaltige Belastung für die beteiligten Komponenten.
Parallel zu der inneren Verbrennung musste sich die Automobilindustrie unter dem Diktat der EURO Normen vieles zur Abgasnachbehandlung einfallen lassen. Denn jetzt, mit steigender Effizienz trat der zweite prinzipbedingte Nachteil des Dieselmotors immer mehr in den Vordergrund, seine Stickoxidemission.
Stickoxide entstehen umso mehr, je höher die Verbrennungsendtemperaturen steigen. So bedeutet ein früherer Einspritzzeitpunkt (Förderbeginn) zwar eine Verbesserung des Verbrauches, aber nahezu im selben Masse eine Zunahme der Stickoxid Emissionen. Dieser Zielkonflikt war immer das Damoklesschwert unter dem sich die Motorentwickler befanden. Er war, spätestens ab EURO III nur noch beherrschbar durch Erweiterung des Package, der außen angebauten Komponenten. Zu immer effizienteren Ladeluftkühlern gesellte sich die Abgasrückführung in den 90ern die einen Teil des Abgases in die Brennräume zurückführte und so die Verbrennungsendtemperaturen und damit die Stickoxide verringerte. Spätestens mit EURO 4 musste der Dieselkatalysator die Abgasreinigung unterstützen um die Stickoxyde zu reduzieren. Harnstoffeinspritzungssysteme mussten beigegeben werden um diese chemische Umwandlung zu bewerkstelligen.
Nur durch diesen gewaltigen technologischen Aufwand wurde es möglich, die immer restriktiver werdenden EU Vorgaben zu halten. Und hier beginnt der Sündenfall der Autoindustrie. Trotz aller Lobbyarbeit war es nicht möglich, den Politikern, die es oft an Sachverstand fehlen lassen, zu vermitteln, dass man allmählich an die Grenzen des Machbaren stieß. Auch wurde verschwiegen, dass es wohl auch nicht Sinnvoll wäre noch tiefer zu gehen, da einige der wenigen Russpartikel, die heute noch aus einem Dieselauspuff kommen unter 9 Mykrometer liegen und damit lungengängig sind. Nein, die Autoindustrie ließ sich auf den faustischen Pakt mit der Politik ein und lieferte.
Auch der Umstand, dass die Emissionen der Autos nur einen Bruchteil der Gesamtemissionen von Dieselmotoren ausmachen, der Hauptteil geht zu Lasten der Schweröl verbrennenden Schiffsdiesel, wird im regelungsversessenen Brüssel gerne überhört. So war das VW Desaster eine Katastrophe mit Ansage. Die, bis zum heutigen Tag, Verachtfachung der Emissionsreduzierungen war immer ein Ritt an der Grenze des Machbaren. Spezielle Reifen, besondere Leichtlauföle usw. waren die Rezepte, mit denen, neben den motorischen Entwicklungen, die Industrie die Hürden meisterte. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis, mit den durch die Variabilität der Elektronik gegebenen Möglichkeiten, einer der Großen der Versuchung erliegen würde und den naturgegebenen Zielkonflikt der dieselmotorischen Verbrennung zwischen guten Verbrauchswerten, hoher Leistung und geringer Russbildung auf der einen Seite und einer geringen Stickoxidemission auf der anderen Seite, auf etwas unanständige Art und Weise zu lösen.
Alles deutet darauf hin, dass das Auto, von seinem Schöpfer ein rudimentäres Bewusstsein dafür mitbekam, wie sich ein Testzyklus anfühlt und was es in diesem Fall zu tun hat um sich des Wohlwollens seines Schöpfers zu versichern. Auch Stand heute scheint sich die Fachwelt noch nicht einig, wie der Wagen das „merkt“. Einige vermuten, dass das Fehlen jeglicher Lenkbewegungen den Ausschlag gibt, andere mutmaßen, dass über das GPS das fehlen jeglicher Fortbewegung trotz Vollast das „Cycle Beating“ auslöst. Für solch hochkomplexe Algorithmen ist das Zusammenspiel verschiedenster elektronischer Komponenten unerlässlich. Diese sind über Bussysteme miteinander verbunden, „reden“ miteinander.
Und so wird das DieselDesaster auf eine neue Ebene gehoben. Es wird dereinst zum Symbol des anbrechenden Maschinenzeitalters werden. An ihm wird sich erstmals das Unbehagen des Homo Sapiens kristallisieren, angesichts einer Technik, die mit ihm nicht abgesprochene Aktionen ausführt, hinter seinem Rücken. Anzeichen gab es schon früher, wie z. B. Drohnen die autonom über Leben und Tod entscheiden, aber erst des Deutschen liebstes Kind macht die Entwicklung, die hier in sein Leben Einzug hält, still und leise, für ihn nachvollziehbar. Und wie ein Blitz durchzuckt ihn die Erkenntnis, „ I- Robot“, das ist nicht die ferne Zukunft, es hat begonnen. Und über kurz oder lang wird er sich dem autonom fahrenden Auto anvertrauen, das über Schwarmintelligenz mit seinen Artgenossen kommuniziert. Und er wird akzeptieren müssen, dass die Mikrochips über Leben und Tod entscheiden werden. Ist ein Unfall unvermeidbar, werden sie in Millisekunden die Überlebenschancen der Beteiligten kalkulieren, kühl und ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob ein Vater noch einmal sein Kind im Arm halten möchte, ein letztes mal. Hersteller wie Daimler nehmen diese Verantwortung sehr ernst, indem sie das Thema in Ethikkommissionen einbringen. Die schöne neue Welt hat also längst begonnen.