Die aktuelle Debatte über Digitalisierung und KI ist sinnlos und nicht zielführend
Von Peter Haisenko
Es sind bequeme Schlagworte, mit denen die politische Diskussion geflutet wird: Künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Kaum jemand kann mit diesen Begriffen eine konkrete Thematik verbinden, geschweige denn verstehen, worum es überhaupt gehen soll. Für Intelligenz als solche gibt es nicht einmal eine allgemein anerkannte Definition.
Beginnen wir mit der Digitalisierung. Dazu schreibt http://startupwissen.biz/was-bedeutet-eigentlich-digitalisierung/ folgendes: „Wenn Politiker vom Thema Digitalisierung reden, meinen sie damit vorrangig eine Sache: Internet-Anschlüsse. Ja, schnelles Internet ist ein wichtiger Bestandteil für den digitalen Wandel, es ist aber nicht die Digitalisierung! Im Kern bedeutet Digitalisierung, dass analoge Informationen oder Abläufe in eine digitale Form gebracht werden. Zum Beispiel, wenn Musikstücke, die bislang auf Kassetten abgelegt waren, so transformiert werden, dass man sie auf dem Computer anhören kann. Oder die Umwandlung von Dias in Digital-Fotos. Heutzutage versteht man unter Digitalisierung aber viel mehr. Das Buzzword ist der Überbegriff für eine Reihe weiterer Schlagworte, wozu unter anderem Industrie 4.0 und Digitale Transformation gehören.“
Was soll die Diskussion über Phänomene, für die es keine Definition gibt?
Weiter hat dieses Portal ermittelt, dass auch von Führungskräften ganz unterschiedliche Erwartungen an die Digitalisierung gestellt werden. Insgesamt ist festzustellen, dass dieses Schlagwort ein kaum definierter Brei ist, in dem sich jeder aussuchen kann, was er gerade als sinnvoll erkennen will. Für Politiker ist das sehr bequem, denn sie müssen sich wieder einmal nicht konkret auf etwas festlegen, wofür sie dann in Verantwortung genommen werden können. So darf man hierzu eher scherzhaft auf eine ganz andere Definition zurückgreifen, nämlich das Gift des Fingerhuts „Digitalis“. Wird eine Diskussion „digitalisiert“, wird sie tödlich vergiftet. Eben wie jede Diskussion, die geführt wird, ohne eine gemeinsame Definition zu haben, worüber man überhaupt redet. Eine solche „Diskussion“ ist von vorn herein sinnlos.
Nun zur sogenannten KI, der „Künstlichen Intelligenz“. Diese gibt es nicht. Jedenfalls noch nicht und sie wird es mit herkömmlichen Rechenmaschinen auch nicht geben. Die Diskussion darüber ist im gleichen Sinne sinnlos wie die über Digitalisierung, denn auch für Intelligenz als solche gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Das wird schon daran erkennbar, dass Intelligenz aufgeteilt wird in Untergruppen: Technische Intelligenz, soziale, mathematische usw. Über welche Form der Intelligenz reden wir also, wenn über künstliche Intelligenz diskutiert wird? Inwieweit muss hierzu Intuition einbezogen werden? Allein die Tatsache, dass die Messung von Intelligenz mit dem gleichnamigen Quotient durchaus umstritten ist, gibt einen weiteren Hinweis, dass auch diese Diskussion eher amorph ist.
Die Speicherkapazität von Computern hat mit Intelligenz nichts zu tun
Rechenmaschinen verarbeiten Daten nach vorgegebenen Regeln. Auch wenn die Datenmengen immer absurdere Größenordnungen annehmen, bleibt die Grundbedingung, dass in jedem Computer nur das ablaufen kann, was der Programmierer vorgegeben hat. Selbst wenn die Maschine neue Algorithmen formulieren könnte, kann sie das nur im vorbestimmten Rahmen. Sogenannte „lernende Maschinen“ oder auch „neuronale Netzwerke“ sind beschränkt auf den Rahmen, den ihr Programm erlaubt. Auch die Implementierung von Zufallsgeneratoren ändert das nicht, denn die Folgeoperationen können sich wiederum nur in dem Bereich abspielen, der im Urprogramm fixiert ist. Computer sind im Wesentlichen (riesige) Datenbanken und verknüpfen diese gemäß ihrer Programmierung. In dieser Hinsicht sind sie dem Menschen überlegen, denn sie vergessen nichts, was sie einmal eingesammelt haben. Mit Intelligenz als solcher hat das jedoch nichts zu tun. Sie können nicht „intelligenter“ sein als ihre Programmierer, obwohl sie auf ein Vielfaches mehr an Daten zurückgreifen können.
Die noch sehr junge Entwicklung von Quantencomputern könnte einen Weg aufzeigen, der tatsächlich rechneroriginäre Leistungen erbringen könnte, die nicht einem Urprogramm folgen müssen. So sind bereits Prozessoptimierungen durchgeführt worden, deren Entstehung nicht einem vorgefertigten Programm folgten. Allerdings ist hierbei zu bemerken, dass diese Abläufe bis jetzt noch nicht vollständig verstanden werden. Die Erklärungsversuche reichen da bis zu einer Umkehrung des Zeitflusses im Rechenablauf. Quantencomputer sind ebenso wie die Quantenphysik selbst sogar für Quantenphysiker nicht in herkömmlichen Denkmodellen darstellbar. Der Aufwand für diese ersten, rudimentären Quantencomputer ist enorm. Allein die Tatsache, dass hierbei mit Temperaturen ganz nah am absoluten Nullpunkt gearbeitet werden muss, zeigt, dass es wohl noch eine Weile dauern wird, bis (kommerziell) brauchbare Anwendungen zu erwarten sind. Ob daraus tatsächlich etwas wie künstliche Intelligenz entstehen kann, steht in den Sternen.
Intelligenz ist ohne Selbstbewusstsein nicht möglich
Ich persönlich halte es für das Vorhandensein von Intelligenz unabdingbar, ein Selbstbewusstsein zu haben, sich seiner Existenz bewusst zu sein. Nun wissen wir nicht, welcher Voraussetzungen es bedarf, um dieses Selbstbewusstsein zu generieren. Kann eine (herkömmliche) Rechenmaschine Selbstbewusstsein entwickeln? Und wenn sie das tun sollte, wie würde sie sich verhalten? Auch gegenüber seinen Schöpfern? Zu dieser Thematik gibt es schon viele Betrachtungen, in Form von Filmen oder Sciencefiction-Romanen, wo sich Rechner selbstständig gemacht haben und dann meist die Menschheit bedrohen. Natürlich gehen diese Geschichten gut aus, aber der Stachel bleibt in unseren Gehirnen sitzen. Die Frage sollte deshalb genauer betrachtet werden.
Um eigenständiges Selbstbewusstsein zu entwickeln, müssen Rechenoperationen/Gedanken ablaufen, die jenseits vorgegebener Programme entstehen. Mit der verfügbaren Technik ist das nicht möglich, jedenfalls nicht geplant möglich. Was aber geschehen könnte ist, dass verschiedene Programme aufeinander treffen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, sich ungeplant vernetzen und interagieren, und dann plötzlich Ergebnisse hervorbringen, die in keinem der Urprogramme vorgesehen waren. Klingt wie Sciencefiction? Ja, ebenso wie Künstliche Intelligenz.
Das Aufeinandertreffen komplexer Programme kann unerwünschte Effekte hervorrufen
Jeder Programmierer weiß, dass selbst innerhalb geschlossener komplexer Programme Interaktionen auftreten können, die so nicht vorgesehen waren. Das war schon so bei der alten Boeing 747-200, die ein Produkt der 1960-er Jahre war. Mit der ersten Generation Airbus A 320 sind diese unerwünschten Interaktionen im Cockpit zum Treppenwitz geworden. (Was macht er denn jetzt schon wieder???) Je mehr unterschiedliche Programme nicht nur unkontrolliert aufeinandertreffen, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass unerwünschte Effekte auftreten. Damit bin ich beim Internet.
Das Internet ist ein weltumspannender Datenverbund, in dem die unterschiedlichsten Programme unkontrolliert aufeinandertreffen und interagieren. Es sind Milliarden von Rechnern, von denen niemand wirklich weiß, welche Art von Programmen auf ihnen laufen. Dazu zählen mittlerweile auch Milliarden an Smartphones, von denen jedes einzelne eine größere Rechenkapazität hat, als für die erste Mondlandung 1969 zur Verfügung stand. Von Schadsoftware wissen wir, welcher Schaden angerichtet werden kann, allerdings noch geplant. Ich erinnere an „Stux-net“, geschaffen von der amerikanischen NSA, um Iranische Atomanlagen zu zerstören, der sich aber „selbstständig“ gemacht hat und Anlagen angegriffen hat, die nicht das ursprüngliche Ziel waren. Das ist Jahre her und das Internet ist seitdem vielfach komplexer geworden.
Die Gefahr ist real und eine fundierte Diskussion wäre angebracht
Manche Hackerattacken haben viele Rechner vernetzt zum Angriff auf einen anderen – mit teilweise fatalen Folgen. Was könnte passieren, wenn ein solches Programm aus dem Ruder läuft und sich selbstständig macht? Wenn sich das Internet selbst zu einem neuronalen Netz zusammenschließt, das von niemandem mehr beherrscht werden kann? Das tatsächlich ein Selbstbewusstsein entwickelt? Nochmals die Frage dazu: Wie viele „neuronale“ Verbindungen sind notwendig, um Selbstbewusstsein zu entwickeln? Wie viele Milliarden? Reichen die weltweit existierenden Milliarden an Rechnern aus, mit ihren jeweils internen Milliarden an möglichen Rechenoperationen, ausgeführt mit Lichtgeschwindigkeit? Rechner, die alle mehr oder weniger vernetzt sind?
So, wie die Diskussionen über KI und Digitalisierung geführt werden, sind sie unsinnig. Sie sind zu unscharf und lenken eher davon ab, dass man verzweifelt versucht, eine Technik zu verstehen, deren rasante Entwicklung vor allem die Politik überfordert. Geschweige denn, dass diese Entwicklung kontrolliert abliefe. Allenthalben steht man vor der Faszination des Machbaren, ohne ernsthaft darüber nachzudenken, ob die Geister noch beherrschbar sein werden, die man schon gerufen hat.
Nein, ich bin sicher kein „Maschinenstürmer“, der den Fortschritt generell ablehnt. Ich vertrete aber die Auffassung, dass man sich sehr wohl Gedanken darüber machen sollte, was passieren könnte, wenn sich die Technik eines Tages tatsächlich selbstständig macht. Nicht nur darüber, sondern ganz dringend darüber, was ganz real passieren kann, wenn Schadprogramme unsere Infrastruktur zerstören. Oder ein gewaltiger Sonnensturm. Ist es wirklich zu verantworten, wenn lebenswichtige Anlagen aus Gründen der Bequemlichkeit oder der Gewinnmaximierung am Internet hängen und so von jedem begabten Hacker sabotiert werden können? Eine fundierte Diskussion darüber wäre zeitgemäß, denn diese Gefahr ist real. Die ständige Wiederholung der schwammigen Schlagworte „Künstliche Intelligenz“ und „Digitalisierung“ ist sinnlos, denn so wie die Diskussion darüber geführt wird, läuft sie ins Leere, meilenweit an der eigentlichen Problemstellung vorbei.