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Einzigartig faszinierende Symbiosen: Die bewährten Wunder des Lebens

Von Hans-Jörg Müllenmeister 

Symbiosen – die komplexen Netzwerke des Lebens – zählen zu den erstaunlichsten Phänomenen der Natur. Es ist ein wahres Schauspiel zu beobachten, wie die Natur kooperative und ausgeklügelte Lebensgemeinschaften formt, die das Überleben vieler Arten sichern. Unser eigener Körper ist ein lebendiger Kosmos voller symbiotischer Beziehungen, insbesondere mit Mikroorganismen, die in und auf uns leben und maßgeblich zu unserer Gesundheit beitragen. 

Im Gegensatz zum Parasitismus oder zur Parabiose, wie sie die Mistel pflegt, basiert dieses faszinierende Naturkonzept auf gegenseitigem Nutzen für beide beteiligten Symbionten. Diese breite Palette an Symbiosen umfasst alle erdenklichen Organismen: Tiere, Pflanzen, Bakterien – und oft in überraschenden Kombinationen. Es gibt sowohl soziologische als auch biologische Zusammenschlüsse, die sogar neue Lebensformen wie Flechten hervorbringen. Im wirklichen Leben ist niemand eine autarke Insel. Beginnen wir mit den maritimen Lebensgemeinschaften. 

Gesunder Lebensraum: Ein Riff aus Korallenpolypen und Algen (Zooxanthellen)

Selbst wenn sie festsitzen, Korallen sind keine Pflanzen, sondern maritime Tiere. Genauer: Nesseltiere – so wie Quallen. Zum Überleben benötigen Korallen sogenannte Zooxanthellen, Algen, die sich in der Außenhaut des Polypen ansiedeln. Diese beiden bilden eine biologische Zweckgemeinschaft von der beide profitieren – ein perfektes Beispiel für Symbiose. Die winzigen Polypen scheiden Gewebe Kalziumkarbonat aus und bauen so das Korallenskelett. Die Zooxanthellen hingegen betreiben Photosynthese, nutzen Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser, um Nährstoffe wie Glukose, Sauerstoff und andere organische Verbindungen zu produzieren.

Durch die reichliche Sonneneinstrahlung in klaren, lichtdurchfluteten Gewässern, können sie die Nährstoffe direkt an die Korallenpolypen abgeben. Diese Nährstoffe sind entscheidend für das Wachstum und die Fortpflanzung der Korallen. Im Gegenzug bieten die Korallen den Zooxanthellen einen sicheren Lebensraum und Zugang zu Stoffwechselabfällen wie Kohlendioxid und Ammonium, die die Algen für die Photosynthese benötigen. Außerdem verleihen die Zooxanthellen den Korallen ihre leuchtenden Farben. Wenn Korallen unter Stress stehen, etwa durch hohe Wassertemperaturen, können sie die Zooxanthellen ausstoßen; das führt zur Korallenbleiche. Ohne die Zooxanthellen verblassen die Korallen und verlieren ihre Hauptnahrungsquelle  – der Korallentod droht.

Clownfische und Seeanemonen 

Clownfische leben in Seeanemonen und finden Schutz vor Raubfischen. Im Gegenzug schützen die Clownfische die Seeanemonen vor Fressfeinden und halten sie sauber. 

Symbiose zwischen Haien und Putzerfischen

Hai-Putzerstationen sind besondere Orte im Riff, an denen kleinere Putzerlippfische die Haie reinigen. Die fleißigen Helfer entfernen Parasiten, abgestorbene Haut und Essensreste von mächtigen Haien und sorgen so für deren Wohlbefinden. Ohne ihr Wirken würden sich Parasiten ansammeln und die Haie gesundheitlich belasten. Infektionen und Entzündungen wären die Folge. Gäbe es diese Putzerstationen nicht, wäre die Gesundheit der Haie ernsthaft beeinträchtigt. Putzerfische spielen daher eine essenzielle Rolle in der physischen Hygiene und dem Wohlbefinden der Haie.   

Lernkurve: Handelsbeziehungen als Putzerstationen

Im ökonomischen Bereich können wir die „US-Trump-Haie“ betrachten und die globalen Handelsbeziehungen als „Putzerstationen“. Die jüngst angedrohten protektionistische Maßnahmen wirken parasitär und widersetzen sich einer „Handelsymbiose“. Die Gesundheit des globalen Handels wäre beeinträchtigt. Zölle und Handelskriege könnten den Welthandels fragmentieren, wenn die Handelspartner sich auf sich selbst konzentrieren und weniger kooperativ agieren. Einzelne egoistische Akteure im globalen Handel, die sich zu sehr auf eigennützige Taktiken verlassen, könnten das gesamte System aus dem Gleichgewicht bringen und sich selbst als auch anderen schaden. Da wäscht keine Hand die andere, wenn es ums Nehmen statt ums Geben geht. 

Flechten: Doppelwesen aus der Symbiose geboren

Der schwedische Naturforscher Carl von Linné, beschrieb einst 80 Flechtenarten als „armseligstes Bauernvolk der Vegetation“. Erst 1866 erkannte der Naturwissenschaftler Heinrich Anton de Bary, dass Flechten Symbiosen zwischen Pilzen und Algen sind. Die Mischwesen halten extreme Temperaturbereiche von -47°C bis +80°C aus. Selbst in der Antarktis sind an die 200 Flechtenarten bekannt. Je weiter man in nördliche Regionen vordringt, desto „verflechteter“ wird es – in Tundren und steinigen Küsten gibt es mehr als 2000 Flechtenarten. Island ist ein Flechtenparadies. 

Die Anatomie dieser filigranen Schönheiten besteht aus einem skelettartigen Pilzgeflecht, in dessen Hohlräume Algen lagern. Zusammen bilden sie einen widerstandsfähigen Organismus, der in nahezu jeder Klimazone und bei fast jeder denkbaren Temperatur überleben kann. Der Pilz baut ein System aus Hypen auf, das ein Austrocknen der Flechte durch ein Wurzelgefüge verhindert. Zudem schafft er verschiedene Schutzschichten, die äußere Einflüsse abwehren. Die Alge bringt in die Symbiose ihren herausragenden Stoffwechsel ein, sodass die Flechte in jeder Umgebung ausreichend versorgt ist. Zudem bietet das Wurzelsystem der Alge Halt auf harten Untergründen. Weil die Pilze von den photosynthetisch aktiven Algen Nahrung erhalten und sie andererseits vor starker Sonneneinstrahlung schützen, konnten weltweit rund 25.000 Flechtenarten die rauesten Standorte besiedeln. Sie sind auf Bäumen, Steinen, Gartenzäunen oder Hausmauern anzutreffen.  

Interessante Fakten über Flechten 

Flechten gibt es in verschiedenen Formen und Farben, darunter Krusten-, Laub- und Strauchflechten. Viele Flechten wachsen sehr langsam, oft nur wenige Millimeter pro Jahr. Flechten können auf einer Vielzahl von Oberflächen wachsen, sogar auf „nacktem“ Fels. Flechten besiedeln als Pionierorganismen unwirtliche und extreme Standorte und sind so die Wegbereiter für neue Lebewesen an diesen Standorten. Einige Flechtenarten werden zur Herstellung von Farbstoffen, Parfums und traditionellen Medizinprodukten verwendet. Aquavit, das Nationalgetränk von Norwegen und Schweden, wurde ursprünglich aus Flechten gebrannt. Chemisch unterscheidet sich Vitamin D3 aus Flechten nicht von dem tierischen Ursprungs. Selbst im Weltraum überdauern die hartnäckigen Flechten mehrere Wochen lang. 

Flechten als herausragende Bioindikatoren

Flechten dienen als lebende Messgeräte, als Bioindikatoren. Das ist effizient und kostengünstig, während physikalisch-chemische Messungen häufig aufwendig und teuer sind. Flechten sind besonders empfindlich gegenüber Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid und Stickoxiden. Sie nehmen diese Schadstoffe direkt aus der Luft auf, das verändert ihr Wachstum und ihre Gesundheit. In verschmutzten Gebieten nimmt daher die Vielfalt und Häufigkeit von Flechtenarten ab. Veränderungen in der physiologischen Gesundheit der Flechten, wie Verfärbungen, Wachstumsanomalien und Schäden an den Flechten-Strukturen, weisen direkt auf Umweltverschmutzung hin.

Deshalb verwenden Wissenschaftler und Umweltbehörden Flechten, um Umweltverschmutzung über große Gebiete hinweg zu überwachen und zu kartieren. Dabei sammeln und analysieren sie Flechtenproben von verschiedenen Standorten. Flechten bieten die Möglichkeit, langfristige Veränderungen in der Umweltqualität zu beobachten. Durch die regelmäßige Überwachung von Flechten-Populationen über Jahre hinweg lassen sich Trends und Veränderungen in der Umweltverschmutzung erkennen. Beispielsweise kann das Verschwinden empfindlicher Flechtenarten in einem Gebiet auf eine erhöhte Luftverschmutzung hinweisen. Umgekehrt kann das Auftreten oder die Rückkehr empfindlicher Arten auf eine Verbesserung der Luftqualität hindeuten. 

Die Bartflechte Usnea: Ein wahres Wundermittel

Die Bartflechte Usnea, auch als „bärtiger Mann“ bekannt, ist für ihre antimikrobiellen Eigenschaften von alters her berühmt. Sie wird zur Behandlung von Hautinfektionen, Entzündungen im Mund- und Rachenbereich sowie Hauterkrankungen wie Ekzemen, Akne und Rosacea eingesetzt, ebenso zur Heilung von Hautkrankheiten und Geschwüren. Usnea enthält Usninsäuren, die entzündliche Prozesse in den Lungen und Bronchien bekämpft. Zudem wird sie bei Magen-Darm-Beschwerden, Verdauungsproblemen und Blähungen eingesetzt.

Tumorhemmende Wirkung. Es gibt Hinweise darauf, dass die Bartflechte Usnea tumorhemmende Eigenschaften besitzt und in der Krebsbehandlung ergänzend zur Chemotherapie genutzt wird. Usnea enthält eine Vielzahl chemischer Inhaltsstoffe, die für ihre heilenden Eigenschaften bekannt sind. Hier sind einige der wichtigsten Inhaltsstoffe: Die Usninsäure ist der Hauptwirkstoff in Usnea und verleiht ihr starke antibiotische und antimykotische (pilzhemmende) Eigenschaften. Diese Usninsäure der Bartflechte ist in vielen anderen Heilpflanzen nicht vorhanden oder nur in geringer Menge. Ihre Gerbstoffe haben entzündungshemmende und antibakterielle Wirkungen. Das Vitamin C ist ein wichtiges Antioxidans, das zur Unterstützung des Immunsystems beiträgt. 

Ihre symbiotische Partnerschaft zwischen einem Pilz und einer Alge oder einem Cyanobakterium ist einzigartig und unterscheidet sie von traditionellen Heilpflanzen. Während viele Heilpflanzen spezifische Anwendungen haben, wird Usnea für eine breite Palette von Gesundheitsproblemen verwendet. 

Flechten in der traditionellen Medizin

Flechten werden überall gesammelt und verwendet und besitzen eine lange Geschichte und Tradition als Heilpflanzen. Sie wurden in verschiedenen Kulturen auf der ganzen Welt verwendet, etwa zur Behandlung von starkem Husten, akuter Colitis, Lungentuberkulose und verschiedene Darm- und Magenkrankheiten.  

Flechten mit Methusalemstatus 

Einige Arten sind für ihr außergewöhnlich langsames Wachstum und ihre Langlebigkeit bekannt. Diese Flechten können Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Jahren alt werden. Einige Krustenflechten in der Antarktis wurden auf über 5.000 Jahre geschätzt. 

Kooperative Lebensgemeinschaften und ihre Bedeutung 

Flechten bieten eine Zusammenarbeit, bei der Organismen Nährstoffe und Ressourcen in kooperativen Lebensgemeinschaften im Tier- und Pflanzenreich teilen. Nicht nur Rentiere ernähren sich von Flechten (die fälschlicherweise oft als Islandmoos bezeichnet werden), sondern auch Schmetterlingslarven, Schnecken, Insekten, Milben oder Staubläuse. Flechte dient auch als Lebensraum oder Tarnmöglichkeit für Insekten, Milben, Bärtierchen oder Raupen. Viele Vögel nutzen Flechten für ihren Nestbau. 

Symbiose-Potpourrie der Natur

Kleine Kolibris – die wahren Luftakrobaten des südamerikanischen Dschungels – erfüllen eine entscheidende Aufgabe: Sie bestäuben Blüten und erhalten dafür eine süße Belohnung in Form von Nektar. Im Verlauf von Millionen Jahre der Symbiose mit Blütenpflanzen haben sie sich mit ihren pinzettenartigen, langen Schnäbeln perfekt an die tiefen Blütenkelche angepasst, sodass sie mühelos den begehrten Nektar schlürfen können.  

Auch zwischen bestimmten Insekten und Mikroorganismen gibt es das Band der Symbiose. So beherbergen Blattläuse Bakterien in speziellen Zellen innerhalb ihres Körpers. Diese Bakterien helfen den Blattläusen, essentielle Aminosäuren zu produzieren, die in ihrer Nahrung fehlen. In der symbiotischen Beziehung zwischen Pilzen und Pflanzenwurzeln, dem Mykorrhiza (griech. für Pilzwurzel), helfen Pilze den Pflanzen, Nährstoffe und Wasser aus dem Boden aufzunehmen, während die Pflanzen den Pilzen Zucker aus der Photosynthese liefern.

Ameisen schützen Blattläuse vor Fressfeinden und erhalten im Gegenzug von den Blattläusen eine zuckerhaltige Substanz, den Honigtau. Im Magen von Wiederkäuern wie Kühen leben spezielle Bakterien, die Zellulose abbauen und in verdauliche Nährstoffe umwandeln. Die Bakterien profitieren von der geschützten Umgebung und den Nahrungsresten. 

Termiten beherbergen Einzeller in ihrem Darm, die ihnen helfen, Holzfasern zu verdauen. Die Einzeller erhalten im Gegenzug einen geschützten Lebensraum und Nährstoffe. Die Bakterien profitieren von der geschützten Umgebung und den Nahrungsresten. 

Einzigartige Symbiose-Trilogie!

Eine kuriose symbiotische Dreierbeziehung wurde im Yellowstone-Nationalpark nachgewiesen, bestehend aus Rispengras, einem Schimmelpilz und einem Virus. In der Umgebung von heißen Quellen wird auch der Erdboden erhitzt. Ein bestimmtes Gras kann dank einer Symbiose mit einem Pilz im Wurzelbereich Temperaturen von bis zu 70°C tolerieren. Notwendig für diese Symbiose ist ein dritter Partner, ein Virus, das den Schimmelpilz befällt. Ohne dieses Virus verliert der Schimmelpilz seine Hitzebeständigkeit, und mit ihm geht auch das Gras an den heißen Standorten zugrunde. 

Unsere verborgenen symbiotischen Mitbewohner 

In unserem Verdauungstrakt leben Milliarden von Mikroorganismen, hauptsächlich Bakterien. Diese Mikroben helfen bei der Verdauung von Nahrung, der Produktion von Vitaminen, etwa Vitamin K und einige B-Vitamine, und der Stärkung unseres Immunsystems. Im Gegenzug erhalten diese Mikroorganismen Nährstoffe und einen geschützten Lebensraum. Diese selbstverständliche Symbiose wird uns oft erst bewusst, wenn sie gestört ist. Auch unsere Haut ist von einer Vielzahl von Mikroben besiedelt, die helfen, schädliche Bakterien abzuwehren, die Hautbarriere zu stärken und Hautkrankheiten zu verhindern. Diese Mikroorganismen profitieren wiederum von den Ölen und anderen Stoffen, die unsere Haut produziert. 

Vernetzung und Abhängigkeiten 

Sowohl in Ökosystemen als auch in sozialen und wirtschaftlichen Systemen sind die einzelnen Individien stark miteinander verknüpft und voneinander abhängig. Alles ist mit allem auf irgendeine Weise vernetzt. In einem Ökosystem interagieren Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen und ihre Umwelt miteinander. In sozialen oder wirtschaftlichen System interagieren Individuen, Unternehmen, Institutionen und Regierungen.  

Die bange Frage bleibt: Geschieht das alles zum Wohle aller? Wohl kaum. In wachsenden, größeren Wirtschaftssystemen dominiert bald eine Störkomponente die Harmonie und bringt die Balance eines ursprünglich symbiotischen Handelns aus dem Gleichgewicht: Es ist der schnöde Mammon, die Währungseinheit des ausufernden Chaos einer Gesellschaft.    

Bleibt die Erkenntnis, dass in einer vernetzten Welt nicht nur die positiven, vielmehr die negativen Einflüsse verstärkt werden. Der Weg in eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft erfordert ein Umdenken und Rückbesinnen auf die harmonischen Grundprinzipien, wie sie die Natur uns lehrt. Das macht den Kern jeder erfolgreichen Vernetzung aus. Offensichtlich gelingt das nur in kleineren Gesellschaftseinheiten. Sie ermöglichen eine harmonische Vernetzung und nachhaltige Lebensweise, wie etwa Cohousing-Projekte. Diese bieten viele Vorteile, wie starke Gemeinschaftsbindung, Ressourcenersparnis und nachhaltige Praktiken. Zudem fördern sie Toleranz und soziale Inklusion – alle dürfen mitmachen!

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